Pfropfen schützen nicht alle Ohren gut
Ohrenpfropfen dämpfen laute Musik zwar gut. Doch viele schützen das Gehör von Jugendlichen nicht genügend – sie sitzen schlecht im Ohr. Das zeigt ein Praxistest des Gesundheitstipp.
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Gesundheitstipp 09/2011
13.09.2011
Ines Vogel
Mit 102,6 Dezibel dröhnt Rockstar Bon Jovis «It’s my life» aus den Lautsprechern. Francesco hat sich gelb-rosarote Pfropfen aus Schaumstoff in die Ohren gesteckt. Konzertveransalter geben diese Stöpsel jeweils gratis ab. Sie ragen dem Elfjährigen weit aus den Ohren. Kein Wunder, dringt die Musik deut- lich durch. Sie klinge mit den Pfropfen «sehr gut», kreuzt Francesco auf dem Fragebogen an, den der Gesundheitstipp verteil...
Mit 102,6 Dezibel dröhnt Rockstar Bon Jovis «It’s my life» aus den Lautsprechern. Francesco hat sich gelb-rosarote Pfropfen aus Schaumstoff in die Ohren gesteckt. Konzertveransalter geben diese Stöpsel jeweils gratis ab. Sie ragen dem Elfjährigen weit aus den Ohren. Kein Wunder, dringt die Musik deut- lich durch. Sie klinge mit den Pfropfen «sehr gut», kreuzt Francesco auf dem Fragebogen an, den der Gesundheitstipp verteilt hat. Doch Gehörschutz-Fachmann Carlo Matzinger von der Suva stellt fest: Die Schaumstoff-Pfropfen sitzen schlecht in den Gehörgängen des Buben. Er warnt: «So dringt zu viel Schall ins Ohr.»
Bei jedem Gehörschutz-Pfropfen, der auf den Markt kommt, ist zwar im Labor getestet worden, ob er genügend Schall schluckt. Doch in der Praxis taugen diese Untersuchungen nicht viel. Das zeigt jetzt ein Praxistest des Gesundheitstipp in Zusammenarbeit mit der Suva.
Schaumstoff-Stöpsel: Nichts für Jugendliche
Der Gesundheitstipp liess sieben Schaumstoff- und Lamellen-Pfropfen – zwei davon mit speziellem Musikfilter – sowie gewöhnliche Watte von sechs Testpersonen beurteilen: Drei erwachsene Musiker sowie drei Musikschüler zwischen 11 und 13 Jahren bewerteten Klangqualität und Komfort der Produkte (siehe Tabellen). Zudem prüfte Suva-Fachmann Matzinger, wie gut die Pfropfen in den Ohren sassen. Im Soundlabor drehte Lärmschutz- Experte Beat Hohmann die Musik auf Konzertlautstärke: neben Bon Jovis Rocksong auch Beethovens Symphonie Nr. 5, ein Stück mit grossen Lautstärkeunterschieden und vielen Höhen und Tiefen.
Fazit: Bei den Erwachsenen schnitten sämtliche Produkte mindestens «genügend» ab. Für Jugendliche taugen nur Lamellen-Pfropfen. Alle Schaumstoff-Ohrstöpsel fielen durch – Note «ungenügend».
Mit ein Grund: Trotz Anleitung gelang es den Jugendlichen nicht, die Schaumstoff-Pfropfen korrekt zu montieren – sie waren zu breit oder zu lang für ihre engen Gehörgänge. Das ist problematisch, wie Francescos Beispiel zeigt: Die Musik kann dann zwar gut klingen – das zeigen die meist guten Bewertungen der Jugendlichen. Doch das Gehör ist kaum geschützt. Am schlechtesten schnitt der poppige Ohropax Color ab: Note 3,4 – obwohl Jugendliche auf der Verpackung abgebildet sind.
Ausser Konkurrenz probierten die Testpersonen auch Wattebäusche aus. Das klare Urteil zur Klangqualität: «sehr gut». Das Problem ist jedoch: Es ist unsicher, wie stark die Watte den Schall schluckt. Deswegen warnt Beat Hohmann: «Man kann sich nicht darauf verlassen, dass die jeweils verwendete Wattemenge das Gehör ausreichend schützt.»
Viele Pfropfen schlucken Schall zu stark
Allerdings: Auch Pfropfen dürfen den Schall nicht zu stark schlucken, sagt Experte Beat Hohmann: «Damit man im Konzert auf eine unkritische Lautstärke kommt, genügt eine Schalldämmung um 10 Dezibel. Dann ist einerseits das Ohr geschützt, andererseits bleibt die Klangqualität gut.»
Viele Pfropfen schlucken den Schall aber zu stark, sie filtern vor allem die hohen Töne weg. Speziell die Erwachsenen beurteilten die Klangqualität meist als gerade mal «genügend», wie zum Beispiel beim gelben Gehörschutz Classic aus
der Migros. Eine Testperson notierte: «Die Musik wird zum Einheitsbrei.» Besser schnitten die zwei Lamellenpfropfen mit speziellen Musikfiltern ab: Der Elacin ER 20 S sowie der MusicSafe Pro. Alle Testpersonen beurteilten die Klangqualiät als «gut».
Die Versicherung Axa Winterthur lässt den gelb-rosaroten Laser-Lite-Pfropfen gratis an Konzerten verteilen. Urs Germann von der Herstellerin Audio-Protect räumt ein, der Pfropfen schränke «das Hörerlebnis massiv ein». Zudem würden ihn Jugendliche oft «weniger tief» einsetzen als Erwachsene. Seit kurzem lasse die Axa Winterthur deswegen einen Lamellen- Gehörschutz verteilen, der mehr Klangqualität und Komfort biete. Audio-Protect vertreibt auch Elacin ER 20 S, den Jugendliche schlecht einführen konnten. Urs Germann empfiehlt, die Spitze anzufeuchten.
Ohropax und Migros weisen die Kritik an ihren Schaumstoff-Pfropfen zurück. Der gelbe Classic sei ein «Top-Seller», schreibt der Grossverteiler. Ohropax pocht auf die «hervorragenden Dämmeigenschaften» des Color und hält das Resultat des Praxistests für «nicht nachvollziehbar». Ohropax räumt jedoch ein, die richtige Platzierung erfordere bei engen oder abknickenden Gehörgängen «eine gewisse Geschicklichkeit». Beide Anbieter betonen, sie böten auch andere Pfropfen an, die sich besser an den Gehörgang anpassten, etwa aus Silikon. Hansaplast und der Hersteller der Pfropfen Artifit wollten nicht Stellung nehmen.