Für selbstgemachte Kuchen und andere Süssigkeiten braucht es oft die geriebene Schale von Zitronen. Der Test des Gesundheitstipp zeigt nun: Köche greifen besser zu Bio-Zitronen statt zu konventionell produzierten Früchten. Denn diese sind zum Teil massiv mit Pestiziden belastet. Der Gesundheitstipp liess je 12 Zitronen und Orangen von einem Labor auf Pestizide untersuchen. Resultat: 9 von 12 Zitronenproben waren «sehr hoch belastet», bei den Orangen waren es 8 von 12 (siehe Tabellen im PDF).
Bei den Zitronen war das M-Budget-Produkt der Migros am meisten belastet: Die Schale enthielt acht Pestizide in einer Menge von fast 20 Milligramm pro Kilo. Selbst das Fruchtfleisch enthielt noch gegen 3 Milligramm. Das heisst: Die Pestizide dringen durch die Schale, oder die Frucht nimmt sie über den Boden und die Blätter auf. So gelangen sie ins Fruchtfleisch. Auch die Pestizide in der Schale sind nicht harmlos: Beim Schälen, Pressen oder Schneiden gelangen die Substanzen ins Fruchtfleisch und in den Saft. Pikant: Die Migros wirbt bei ihren Zitronen im Offenverkauf, die Schale sei zum «Kochen und Backen». Doch sie enthielt Rückstände von sieben verschiedenen Pestiziden in einer Menge von knapp 10 Milligramm pro Kilo.
Die gute Nachricht: Die Bio-Zitronen von Coop enthielten gar keine Pestizide. Die Schale der Bio-Zitrone aus der Migros enthielt Spuren eines Pestizids, allerdings in sehr kleinen Mengen.
Bei den Orangen war es noch schlimmer: Die M-Budget-Früchte der Migros enthielten über 40 Milligramm Pestizide pro Kilo. Die teuren Globus-Orangen enthielten elf verschiedene Chemikalien. Hingegen fand das Labor weder in den Bio-Blutorangen der Migros noch in den Bio-Blond-Orangen von Coop irgendwelche Spuren von Pestiziden. Auch in den Orangen von Spar (aus Südafrika) und Aldi (aus Spanien) fanden sich keine im Fruchtfleisch, nur auf der Schale.
Riskanter Pestizidcocktail
Keines der 24 Produkte überschritt die gesetzlichen Höchstwerte für Pestizide. Der Gesundheitstipp bewertet die Rückstände zum Schutz der Konsumenten allerdings strenger als das Gesetz. Der Grund: Das Gesetz kennt nur Höchstwerte für einzelne Substanzen, aber keine für den Pestizidcocktail insgesamt. Nach wie vor ist nicht geklärt, wie sich ein Mix aus Pestiziden auf die menschliche Gesundheit auswirkt. Die europäische Lebensmittelbehörde Efsa geht davon aus, dass sich einzelne Stoffe gegenseitig verstärken können.
Das Labor fand insgesamt über 20 verschiedene Chemikalien. Der Grossteil steht auf einer schwarzen Liste von Greenpeace. Diese beinhaltet laut der Umweltorganisation die «gefährlichsten Wirkstoffe» für Anwender, Umwelt und Konsumenten. Eine ähnliche Liste gibt es auch beim Bundesamt für Landwirtschaft. Jede zweite Frucht wies bis zu drei Substanzen auf, die das Bundesamt als «Pflanzenschutzmittel mit besonderem Risikopotenzial» bezeichnet. Für Mensch und Umwelt könnten die Auswirkungen dieser Mittel «wegen ihrer unerwünschten Eigenschaften erheblich sein», so das Bundesamt.
18 Produkte wiesen vier Pestizide auf, die auch nach der Ernte zum Einsatz kommen. Sie sollen die Schalen makellos halten und das Obst länger haltbar machen. Erschreckend: Bei zehn Produkten fand das Labor bis zu zwei solche Substanzen auch im Fruchtfleisch. Die Chemikalien stehen auf der Greenpeace-Liste, zwei davon hat die Schweiz als Mittel mit besonderem Risikopotenzial bezeichnet. In der EU müssen nach der Ernte verwendete Pestizide auf der Produktetikette oder im Ladenregal deklariert sein. In der Schweiz sind die Käufer auf den Goodwill der Händler angewiesen – eine Deklarationspflicht fehlt. Der Gesundheitstipp fand nur bei Aldi, Lidl und Migros entsprechende Angaben.
In 17 Produkten fand das Labor zudem Phosphonsäure, die vermutlich durch Dünger an die Früchte gelangt ist. Phosphonsäure schützt Pflanzen vor Schädlingen. Laut dem deutschen Bundesamt für Verbraucherschutz ist der Stoff für Vögel, Säugetiere und Wasserorganismen aber ein Gesundheitsrisiko.
Beim Düngen kann die Phosphonsäure über die Wurzeln auch ins Innere der Früchte gelangen. Das beweisen die Laborergebnisse: Vier Orangen wiesen im Fruchtfleisch sogar mehr Phosphonsäure auf als auf der Schale: die Qualite & Prix Blutorangen sowie die Tarocco Halb-Blutorangen, beide von Coop, sowie die Orangen von Volg und Globus.
Die EU hat auf das Problem reagiert: Ab Juli 2022 dürfen Dünger aus der EU keine Phosphonate mehr zugesetzt sein. Laut dem Bundesamt für Landwirtschaft plant die Schweiz eine Anpassung an diese Verordnung.
Grossverteiler überlegen sich «Massnahmen»
Die Händler sagen gegenüber dem Gesundheitstipp, sie würden künftig «Massnahmen mit den Lieferanten» treffen. Die Migros schreibt, die Verunreinigung von Bio-Ware durch Pestizide sei «nach wie vor ein grosses Problem». Auch bei den Zitronen mit dem Hinweis «Schale zum Kochen und Backen» habe man nicht willentlich Pestizide eingesetzt. Coop empfiehlt Bio-Früchte, wenn man die Schalen verwende. Lidl zeigt sich «sehr überrascht»: «Die hohe Anzahl der gefundenen Wirkstoffe deckt sich nicht mit unseren Analysen.» Denner schreibt, Chemikalien im Fruchtfleisch liessen sich «kaum verhindern». Aldi hingegen sagt, das Eindringen der Pestizide in die Früchte könne «durch die richtige Auswahl der passenden Wirkstoffe erschwert werden».
Verbotene Insektizide auf Orangen
Fünf Produkte aus Spanien wiesen Insektizide auf, die in der EU seit Februar 2020 verboten sind. Auf den Orangen von Migros, Globus, Lidl und Volg entdeckte das Labor Chlorpyriphos oder Chlorpyriphosmethyl. 2012 fanden US-Forscher heraus, dass schon geringe Mengen Chlorpyriphos Ungeborene schädigen können. Deutschland, Irland und sechs weitere EU-Länder untersagten die Verwendung der Substanzen. Im vergangenen Jahr forderte die europäische
Lebensmittelbehörde Efsa ein Verbot der Chemikalien für die gesamte EU.
Das Bundesamt für Landwirtschaft wollte die Verwendung der gefährlichen Substanzen im letzten Sommer untersagen. Daraufhin legten Händler sowie Hersteller wie Syngenta beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein – und erzielten einen Teilerfolg. Der Einsatz von Chlorpyriphos oder Chlorpyriphosmethyl ist in der Schweiz noch bis Ende Juni 2020 erlaubt.