Prostatakrebs ist die häufigste Krebsart bei Männern. Um ihn frühzeitig zu entdecken, empfehlen viele Ärzte einen Test auf prostataspezifisches Antigen (PSA). Doch Fachleute weisen schon länger darauf hin, dass der PSA-Test mehr schadet als nützt.
Dazu hat das Fachgremium Swiss Medical Board jetzt zusammen mit den Patientenstellen ein Merkblatt für Patienten veröffentlicht. Das Swiss Medical Board ist ein siebenköpfiger Expertenrat, der die Wirksamkeit und die Kosten von medizinischen Therapien beurteilt. Das Medical Board wurde vor zwei Jahren gegründet von den Kantonen, der Ärztevereinigung FMH und der Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Mit seinen Empfehlungen soll der Expertenrat dazu beitragen, dass die Kosten der medizinischen Behandlungen sinken und ihre Qualität verbessert wird.
Oft mehr Schaden als Nutzen durch den Test
Im neuen Merkblatt steht, der PSA-Test sei ungenau und führe zu unnötigen Operationen, die Inkontinenz oder Impotenz verursachen können. Diese Operationen seien für die Patienten «möglicherweise gefährlicher und unangenehmer als der Krebs». Zudem sei nicht bewiesen, dass der Prostatatest die Sterblichkeit senken kann (siehe Gesundheitstipp 7/09). Deshalb empfiehlt das Medical Board allen Männern, die weder Beschwerden noch Krebsfälle in der Familie haben, den Test nicht zu machen.
Die Krankenkassen zahlen den Test nur, wenn ein Verdacht auf Krebs besteht. Felix Huber, Leiter der Gruppenpraxis Medix und Spezialist für medizinische Nutzenforschung, sagt: «Ich bin absolut einverstanden mit dem Inhalt des Merkblattes. Der PSA-Test nützt für die Krebsvorsorge nichts.»
Obwohl im Merkblatt nichts steht, was nicht schon lange bekannt ist, zeigen sich Fachärzte irritiert. Die Ärztegesellschaft der Urologen schrieb in der «Schweizerischen Ärztezeitung», das Merkblatt sei «unausgewogen und unvollständig», und es ziele «an den Bedürfnissen der Patienten vorbei». Die Gesellschaft wirft dem Medical Board vor, es verunsichere die Patienten. Sie empfiehlt, das Merkblatt nicht abzugeben.
Sofortige Operation bei Kreuzbandriss unnötig
Gleichzeitig hat das Medical Board ein Merkblatt zur Kreuzband-Operation veröffentlicht. Auch bei diesem Eingriff ist seit Jahren bekannt, dass er meistens unnötig ist (siehe Gesundheitstipp 10/10). Dennoch operieren Chirurgen mehr als die Hälfte der Patienten mit Kreuzbandriss. Die Unfallversicherung oder die Krankenkasse zahlt den Eingriff. Das Medical Board schreibt im Merkblatt, die Kosten seien «im Vergleich zum Nutzen unverhältnismässig». Mit Physiotherapie könne oft ein gutes Resultat erreicht werden. Physiotherapie kostet weniger, hat keine Nebenwirkungen, und die Patienten sind schneller wieder fit. Deshalb empfiehlt das Medical Board, auf die Operation zu verzichten. Sie sei nur sinnvoll, wenn das Knie schwer verletzt oder einige Monate nach dem Unfall noch instabil sei.
Luzi Dubs, orthopädischer Chirurg und Nutzenforscher in Winterthur, hat bei den Empfehlungen des Medical Board als Experte mitgearbeitet. Er sagt: «Studien zeigen, dass nach einem Riss des vorderen Kreuzbandes nicht sofort operiert werden muss.» Doch die Ärztegesellschaft der Orthopäden empfiehlt, das Kreuzbandriss-Merkblatt nicht zu verteilen.
Unabhängige Information für Patienten gefährdet
Erika Ziltener, Präsidentin des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen, weist den Tadel der Urologen und Orthopäden zurück: «Die Pauschalkritik dieser Ärzte erweckt den Anschein, als sei ihnen der Profit wichtiger als das Vertrauen der Patienten.» Der Aufruf zeige, dass die Ärztegesellschaften an kritischen Fragen nicht interessiert seien: «Das ist schade, sie verpassen so die Chance, die Qualität der Behandlungen zu verbessern.» Dazu wollte die Gesellschaft der Orthopäden nicht Stellung nehmen. Der Verband der Urologen schreibt: «Auch wenn man an Prostatakrebs nicht stirbt, heisst das nicht, dass Patienten beschwerdefrei sind.» Die Frage sei, welcher Preis für das längere Leben «akzeptabel oder wünschenswert» sei.
Die massive Kritik seitens der Urologen und Orthopäden zeigt Wirkung: Die Ärztegesellschaft FMH und die Akademie der Medizinischen Wissenschaften – beide im Swiss Medical Board vertreten – knicken ein: Sie haben angekündigt, künftig die Meinung von Ärztegesellschaften, Spitälern, Versicherungen und Pharmafirmen einzuholen, bevor sie neue Merkblätter veröffentlichen.
Fachleute zeigen sich konsterniert. Erika Ziltener sagt: «Der Expertenrat muss die Patientinnen und Patienten möglichst unabhängig von den Interessen der Ärztegesellschaften informieren.» Auch Felix Huber, Leiter der Gruppenpraxis Medix in Zürich, warnt: «Wenn zu viele Akteure mitmischen, wird es schwierig, eine klare Linie zu finden.» Der Einbezug der Pharmaindustrie wäre «katastrophal», sagt Huber: «Das würde dazu führen, dass die Empfehlungen des Medical Board Werbung für Medikamente enthalten.»
Die Merkblätter zum PSA-Test und zur Kreuzband-Operation können Sie bestellen beim Dachverband Schweizerischer Patientenstellen, Zürich, Tel. 044 361 92 56, oder herunterladen über die Internetseite www.patientenstelle.ch.