Der Hustensirup Solmucalm ist für Kinder bereits ab drei Jahren ohne Rezept erhältlich. Der Sirup enthält den Wirkstoff Chlorphenamin. Er wirkt über das zentrale Nervensystem, macht müde und beruhigt. Früher setzte man den Wirkstoff als Antihistaminikum gegen Allergien ein. Auch das Schnupfenmittel Arbid N ist für Kinder ab drei Jahren zugelassen und enthält denselben Wirkstoff.
Chlorphenamin und ähnliche Wirkstoffe stehen seit langem in der Kritik, wie Hannsjörg Seyberth, Arzneimittelexperte der deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, bestätigt: Bei Kindern könne es auch tagsüber selbst bei korrekter Dosierung zu ausgeprägter Müdigkeit oder zu Konzentrationsstörungen führen. Würde den Kindern zu viel davon verabreicht, könne dies zu Halluzinationen und Krämpfen führen.
USA: Tod von sechs Kleinkindern in einem Jahr
Noch dramatischer sind die möglichen Folgen für Kleinkinder. Bereits geringe Dosierungsfehler können Atemstörungen und im schlimmsten Fall einen Atemstillstand auslösen.
Eine 2008 im Fachblatt «Pediatrics» veröffentlichte Studie bringt Chlorphenamin und das ähnlich wirkende Diphenhydramin in Zusammenhang mit sechs verstorbenen Säuglingen in Arizona, USA – alle im Zeitraum eines einzigen Jahrs.
Der Heilmittelbehörde Swissmedic sind auf Anfrage von saldo keine ernsthaften Zwischenfälle bei Kindern bekannt. Für den Arnzeimittelexperten Seyberth widerpiegelt die Anzahl der dokumentierten Berichte aber nicht die Wirklichkeit. Denn die meisten verstorbenen Kleinkinder würden nicht untersucht. Seyberth: «Ich gehe von einem hohen Prozentsatz von nicht gemeldeten Fällen aus.»
Das Problem: Weil diese Produkte frei verfügbar sind, würden sie als harmlos betrachtet, so Seyberth. Eltern würden das giftige Potenzial unterschätzen und diese Hustenmittel auch für Säuglinge und Kleinkinder verwenden.
Sogar noch höher ist das Risiko bei Kombinationspräparaten wie Vicks Medinait, das gemäss Beipackzettel erst für Jugendliche ab 16 Jahren bestimmt ist (siehe Tabelle).
Wirkung umstritten, allenfalls Linderung der Symptome
Seyberth schätzt, dass es im Zusammenhang mit solchen Präparaten zu gefährlichen Nebenwirkungen kommen könnte. In Deutschland fordern deshalb Kinderärzte eine Rezeptpflicht. Das würde die Zürcher Kinder- und Schulärztin Silke Schmitt auch für die Schweiz begrüssen.
Kommt dazu: Die Mittel sind auch umstritten in Bezug auf die Wirkung. Sie können bestenfalls Symptome lindern, nicht aber den Verlauf der Erkältung oder des Hustens günstig beeinflussen. Das haben verschiedene Studien belegt.
Entsprechend sind die Mittel in keiner Richtlinie ärztlicher Fachgesellschaften als Therapie bei Erkältung oder Husten erwähnt. Jürg Hammer vom Universitäts-Kinderspital beider Basel «hält diese Medikamente für überflüssig». Auch Silke Schmitt rät Eltern von solchen Medikamenten ab: «Es braucht diese Arzneien nicht.» Kinderarzt Georg Staubli vom Kinderspital in Zürich sagt: «Wir verwenden Arbid N und Solmucalm nicht.»
Swissmedic will keine Verantwortung übernehmen in Bezug auf die Nebenwirkungen. Das richtige Anwenden «von im Haus vorrätigen Medikamenten» liege in der Hand der Eltern, meint Sprecher Daniel Lüthi. Apotheker würden zudem «Vorsicht walten» lassen, wann sie solche Mittel verkauften.
Natürliche Mittel wie Zwiebeln oder Kieferöl nützen genauso gut
Auch die Pharmaunternehmen machen auf Entwarnung. Vifor Pharma, Hersteller von Arbid N, schreibt, dass sein Produkt nur Apotheker «nach einer Fachberatung durch eine Medizinalperson» abgeben. Das Institut Biochimique SA schreibt, Solmucalm könne man genau dosieren. Dafür sorge ein mitgelieferter Messbecher sowie die Angaben in jeder Packung. Zudem sei nicht nachgewiesen, dass in den erwähnten Fällen Chlorphenamin tatsächlich zum Tod geführt habe und nicht die Grippe respektive die Erkältung selbst.
Kinderarzt Staubli empfiehlt bei normalem erkältungsbedingtem Husten keine Hustenmittel, es sei denn, die Kinder erbrechen beim Husten oder können wegen des Hustens nicht schlafen. Kinder, die zu Bronchitis neigen, brauchen Mittel wie Salbutamol, um die Bronchien wieder zu öffnen. Bei Erkältungen sollte man das Kopfteil des Bettes höher stellen und abschwellende Nasentropfen und gegebenenfalls allgemeine Fiebermittel wie Ibuprofen oder Paracetamol verabreichen. Ein gutes Hausmittel seien zerschnittene Zwiebeln, die neben das Bett gelegt werden.
Der Zürcher Kinderarzt Pierre Schneider empfiehlt, «ein paar Tropfen Kiefer- oder Thymianöl auf ein Taschentuch zu geben und dieses neben dem Kopf des Kindes auf das Bett zu legen». Auch für Silke Schmitt sind solche Massnahmen neben Bettruhe und der elterlichen Pflege ausreichend: «Mehr braucht es nicht.»
Tipps
Das hilft Ihrem Kind bei Grippe, Erkältung und Husten:
◼ Ein bis zwei Tage Ruhe oder Bettruhe zu Hause wirken Wunder.
◼ Bieten Sie Ihrem Kind viel lauwarme Tees an.
◼ Legen Sie Zwiebelringe ins Kinderzimmer.
◼ Sorgen Sie für eine genügend hohe Luftfeuchtigkeit.
◼ Inhalationen mit Thymian können Husten lindern.
◼ Machen Sie Essigwickel bei Fieber: 3 Esslöffel auf 1 Liter kaltes Wasser. Socken damit nässen.
◼ Geben Sie Kindern unter 4 Jahren nie Grippemedikamente.
◼ Vermeiden Sie Salben mit Kampfer wie Vicks Vaporub. Es kann für Kleinkinder giftig sein.