Wenn es um Elektrosmog geht, tritt Martin Röösli in den Medien oft als Experte auf. Er ist Umweltforscher am Tropen- und Public-Health-Institut in Basel. Am 8. März nahm er zum Beispiel an der Diskussionssendung «Arena» des Schweizer Fernsehens teil. Der Moderator fragte: «Sind die Strahlen gefährlich oder nicht?» Röösli erklärte, es gebe keine eindeutigen Beweise, dass Handystrahlen Krebs auslösen. Und am 14. April schrieb die «Sonntagszeitung» über 5G. Der Journalist befragte ausschliesslich Röösli und nannte ihn «einen der wichtigsten unabhängigen Experten auf dem Gebiet Mobilfunk». Auch hier verharmloste Röösli: «Grosse gesundheitliche Risiken hätte man längst gefunden.»
Finanziert von Sunrise und Swisscom
Doch Fachleute kritisieren, Martin Röösli sei kein unabhängiger Experte. Er war bis vor kurzem Stiftungsrat der Forschungsstiftung für Strom und Mobilfunkkommunikation in Zürich. Martin Zahnd vom Dachverband Elektrosmog sagt: «Diese Stiftung leugnet systematisch die Risiken von Strahlung.» Das überrascht nicht: Zu den Hauptsponsoren zählen die Mobilfunkfirmen Sunrise und Swisscom. Niggi Polt, Co-Präsident der Organisation Diagnose-Funk, sagt: «Diese Tätigkeit zeigt, dass Röösli der Mobilfunkindustrie zudient.» Er erhielt von dieser Stiftung auch regelmässig Forschungsaufträge.
Seit 2016 ist Röösli zudem Mitglied der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP). Die Vereinigung von 13 Wissenschaftern beurteilt, wie sich elektromagnetische Wellen auf die Gesundheit auswirken. Ihr Einfluss ist gross: Die Weltgesundheitsorganisation folgt ihren Empfehlungen, wenn es um die Grenzwerte geht.
Niggi Polt sagt: «Die Vereinigung ist der Industrie verpflichtet.» Sie anerkenne zwar, dass Strahlen das Gewebe erwärmen können – aber nicht, dass Strahlen für die Gesundheit schädlich sind. Peter Kälin, Präsident der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, sieht dies anders. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, dass Menschen unter der Strahlung leiden, selbst wenn die Grenzwerte unterschritten wurden. Der Elektrosmogexperte Peter Schlegel aus Esslingen ZH sagt: «Die ICNIRP sorgt für Strahlungsgrenzwerte, die nicht die Bevölkerung schützen, sondern der Mobilfunkindustrie dienen.» Eine Umfrage des Gesundheitstipp zeigt: Viele Leute machen sich Sorgen (siehe unten).
Auch Rööslis Forschungsarbeiten sind umstritten: Bereits 2006 arbeitete er an einer Studie mit, die den Einfluss einer Mobilfunkstation auf die Gesundheit untersuchte. Die Forscher testeten die Strahlen je 45 Minuten lang an insgesamt 120 Personen. Das Resultat: Mobilfunkstrahlen würden das Wohlbefinden nicht beeinflussen. Drei Bundesämter griffen die Studie auf und teilten den Medien mit: «Keine Auswirkungen kurzfristiger Mobilfunkstrahlen aufs Wohlbefinden.» Pikant: Die Studie wurde von Swisscom und Orange (heute Salt) mitfinanziert. Was die Studie verschwieg: Einige Teilnehmer spürten sehr wohl gesundheitliche Folgen. So berichtete Armin Furrer aus Ausserberg VS im «K-Tipp» (12/2006): «Mir war nachher stundenlang schlecht.» Ein anderer Teilnehmer klagte über Migräne und Zahnschmerzen. Bereits früher kam eine holländische Studie zum Schluss, dass Mobilfunkstrahlen das Wohlbefinden negativ beeinflussen. Die Teilnehmer litten nach den Bestrahlungen zum Beispiel vermehrt unter Ängsten.
Fachleute werfen Röösli vor, er nehme Leute, die unter den Strahlen leiden, nicht ernst. Schlegel berät seit 20 Jahren Menschen, die unter Elektrosmog leiden. «Das riesige Erfahrungswissen über die Auswirkungen interessiert Martin Röösli nicht», sagt er.
Röösli schreibt dem Gesundheitstipp, die Industrie beeinflusse nicht die Auswahl der Projekte bei der Forschungsstiftung für Strom und Mobilfunkkommunikation. Der wissenschaftliche Ausschuss, der die Forschungsprojekte auswählt, sei unabhängig. Es stimme nicht, dass die Stiftung systematisch das Risiko von Strahlen leugne.
Er sagt zudem, die ICNIRP habe keine Verbindung zur Industrie. Dies werde explizit geprüft. «Die Kommissionsmitglieder werden aufgrund ihres wissenschaftlichen Leistungsnachweises ausgewählt.» Laut Röösli gibt es «keine wissenschaftlich gut gemachte Studie», die Symptome bei Strahlung weit unter den Grenzwerten nachweise. «Wenn Effekte gefunden wurden, war die Exposition typischerweise viel höher als die Grenzwerte für Antennen.» Elektrosensible Personen nehme er ernst. Mit Betroffenen habe er mehrfach Tests oder Messungen durchgeführt. «Ich war auch an mehreren Forschungsprojekten mit Elektrosensiblen beteiligt.»
Zur Studie von 2006 räumt Röösli ein, dass wenige Personen über Symptome berichteten. «Das war aber unter Scheinbestrahlung genau so häufig der Fall wie unter richtiger Bestrahlung.»
Einige Kantone wollen 5G-Ausbau aussetzen
Zurzeit setzen sich mehrere Kantone gegen das Handynetz 5G zur Wehr (Gesundheitstipp 5/2019). Die Betreiber sollen keine Antennen bauen dürfen, bis man weiss, wie die Strahlen wirken. Voraussichtlich im Juli veröffentlicht eine von Ex-Bundesrätin Doris Leuthard eingesetzte Arbeitsgruppe dazu einen Bericht. Darin sitzen Vertreter der Mobilfunkindustrie – und Martin Röösli. Die Chancen für einen Aufschub von 5G stehen schlecht.
Umfrage: Macht Ihnen 5G Sorgen?
Ursula Weber, 58, Uznach SG
«Ja. Die Strahlen belasten die Menschen und die Umwelt. Wir sind ihnen machtlos ausgeliefert. Ausserdem ist 5G überflüssig. Das jetzige Funknetz reicht meiner Meinung nach völlig aus.»
Ada Bonilla Duarte, 24, Malaga (Spanien)
«Ich weiss zu wenig über 5G, um mir Sorgen darüber machen zu können. Ich mache mir aber oft Gedanken über die Strahlen meines Handys. Deshalb schalte ich es in der Nacht immer aus.»
Daniele Berscheid, 34, Zürich
«Nein. 5G gehört zur Globalisierung und zum Fortschritt. Es ist für mich selbstverständlich, dass es die Technologie in der Schweiz gibt. Für die Wirtschaft wäre es schädlich, wenn wir kein 5G-Netz hätten.»
Gail Brukman, 66, Capetown (Südafrika)
«Ja. 5G belastet uns mit noch mehr Strahlen. Niemand weiss, wie sich diese auf die Gesundheit auswirken. In meiner Heimat Südafrika gibt es noch kein 5G. Ich habe hier erstmals davon gehört und bin beunruhigt.»