Bisher galt: Ein Patient kam dann als Organspender in Frage, wenn er im Spital starb und die Ärzte seinen Hirntod feststellten. Das Herz schlug weiter, weil der Patient noch an der Beatmungsmaschine angeschlossen war. Erst dann fragten die Ärzte die Angehörigen, ob man dem Verstorbenen die Organe entnehmen dürfe.
Seit November ist das neue Transplantationsgesetz in Kraft. Es sieht einen weiteren Fall vor: die Organspende nach dem Herztod. Ärzte bereiten in diesem Fall Patienten, die noch am Leben sind, zur Organspende vor. Dabei geht es zwar um Patienten, bei denen jegliche Behandlung keinen Sinn mehr macht. Doch ihr Gehirn funktioniert zumindest teilweise, das Herz schlägt. Ärzte fragen die Angehörigen um die Organe an, wenn der Patient noch lebt. Und sie machen erste Tests und leiten Massnahmen ein, solange der Patient noch lebt. Erst dann stellen sie die Beatmungsmaschine ab, damit das Herz stillsteht und der Patient den Hirntod stirbt (siehe Grafik). Fachleute sprechen von einem «sekundären Hirntod».
Dieses Verfahren ist höchst umstritten. Die Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle von der Stiftung Dialog Ethik sagt: «Das ist mit der Menschenwürde nicht mehr vereinbar.» Es könne nicht sein, dass man einen sterbenden Patienten bereits zur Organentnahme vorbereite, ohne seinen Willen zu kennen. Der Sterbende sei ein Patient, der nicht mehr urteilsfähig sei: «Damit verletzt man sein Recht auf Integrität.»
Auch für Rainer Schweizer, Rechtsprofessor in St. Gallen, stellen solche Massnahmen einen Eingriff in die «körperliche und geistige Integrität» des Patienten dar. Es sei fraglich, ob dies die Würde des Menschen im Sterbeprozess respektiere.
Patient hat fünf Minuten Zeit zu sterben
Irritierend: Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften hat vom Bund den Auftrag, ethische Fragestellungen in der Medizin zu klären. Für den neuen Fall änderte sie in eigener Regie die entscheidende medizinische Richtlinie ab: Sie legte die Wartefrist zwischen dem Herzstillstand und der Diagnose des Herztods auf fünf Minuten fest. Vorgesehen waren zehn Minuten. Anders gesagt: Nach dem Abstellen der Beatmungsmaschine hat der Patient fünf Minuten Zeit zu sterben – dann dürfen die Chirurgen ans Sterbebett treten. Der Grund: Nach zehn Minuten können gewisse Organe wie die Leber bereits stark geschädigt sein. Viele Experten zweifeln, dass Ärzte nach dieser kurzen Zeit den Hirntod immer korrekt nachweisen können. Margrit Kessler von der Stiftung SPO Patientenschutz sagt: «Es gibt keine überzeugenden Untersuchungen, die belegen, dass der Mensch nach fünf Minuten garantiert tot ist und auch kein Schmerzempfinden mehr hat.»
In der Tat sind sich die Experten uneinig: Die Frist variiert von knapp zwei Minuten in einigen US-Spitälern bis zu 20 Minuten in Italien, wie letztes Jahr die Fachzeitschrift «Transplantation International» aufzeigte. Viele Staaten – bis anhin auch die Schweiz – beziehen sich auf ein Abkommen von Fachleuten im holländischen Maastricht, das die Frist auf zehn Minuten festlegte.
Profiteur ist die Pharmaindustrie
Swisstransplant, die vom Bund beauftragte Koordinationsstelle für die Spenderorgane, ist vom Vorpreschen der Ärzte offenbar übertölpelt worden. In ihrer aktuellen Patientenbroschüre «Organspende rettet Leben» hält sie noch immer fest: «Diese zehn Minuten sind eine weltweit anerkannte Dauer.»
Das Ziel der umstrittenen Methode liegt auf der Hand: mehr Spenderorgane gewinnen. Neben der Schweiz entschieden sich Länder wie Holland, Spanien und Belgien für das neue Verfahren. In Holland stieg die Zahl der Spenderorgane innerhalb von 15 Jahren um über 60 Prozent, wie Rotterdamer Forscher kürzlich in der Fachzeitschrift «Nervenarzt» berichteten.
Profiteure der neuen Regel sind die Transplantationszentren, die sich um die wenigen Patienten reissen. Rund 500 sind es jährlich gemäss Bundesamt für Gesundheit in der Schweiz. Lukrativ sind die Transplantationen aber vor allem für die Pharmaindustrie: Organempfänger sind lebenslange Patienten. Sie müssen Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrücken, wie beispielsweise Sandimmun. Die Kosten dieser Therapie: rund 5000 Franken pro Jahr. Das Medikament Prograf kostet sogar über 20000 Franken.
Die Akademie der Medizinischen Wissenschaften räumt ein, dass sie die neue Wartefrist «nach Abschluss der öffentlichen Vernehmlassung» verkürzt habe. Der Stillstand des Kreislaufs werde aber mit dem Ultraschall des Herzens erfasst. So könne man feststellen, dass kein Blut mehr zum Gehirn fliesst. Das sei entscheidend: «Wenn das Gehirn während drei Minuten keinen Sauerstoff erhält, führt dies zu irreversiblen Schäden.» Nach der Wartezeit würden die Ärzte in der Schweiz zudem den Hirntod diagnostizieren. Ärzte in anderen Ländern würden darauf verzichten.
Der Verband Interpharma bestreitet, dass die Pharmaindustrie zu den Profiteuren gehöre. Sie habe zum Gesetz nie Stellung bezogen, die Transplantationsmedizin gehöre nicht zu ihren Prioritäten.
Patienten können sich gegen diese Form von Organspende wehren – und zwar mit einem Organspende-Ausweis oder mit einer Patientenverfügung. Wer keine Organe spenden will, sollte das klar vermerken. Wer hingegen Organe spenden will, sollte dies ebenfalls festhalten.
Organspende: Methode genau angeben
Aufgrund der neuen Situation sollten Patienten zudem vermerken, dass man die Organe ausschliesslich nach dem «primären Hirntod» spenden möchte und nicht nach einem «sekundären Hirntod». Fehlen diese Angaben, müssen die Angehörigen am Sterbebett entscheiden.
Unfälle, Krankheiten und Tod können jeden und jede unvorbereitet treffen. Mit dem Vorsorgepaket des K-Tipp (inklusive Patientenverfügung, Vorsorgeauftrag und Testament) regeln Sie alles Notwendige für den Fall, dass Sie einmal urteilsunfähig sind und nicht mehr selbst entscheiden können.
Aufruf: Spenden Sie Ihre Organe nach dem Tod?
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