Daniela Lager, Moderatorin des Magazins «10 vor 10», machte auf Panik: In der AHV-Kasse klaffe ein Loch von 1000 Milliarden Franken. Verursacher: die Babyboom-Generation, die bald ins Rentenalter komme. So kündigte Lager am 3. April einen Beitrag über eine AHV-Studie der Grossbank UBS an. Darin wurde die Behauptung der UBS unkritisch übernommen, in der AHV drohe eine riesige Finanzierungslücke in der Höhe von 173,4 Prozent des schweizerischen Bruttoinlandproduktes. Heute gebe es noch fast vier Beitragszahler pro Rentner, im Jahr 2060 würden es lediglich noch zwei sein.
Wohl die wenigsten Zuschauer dürften verstanden haben, was das Bruttosozialprodukt der Schweiz mit ihrer Rente zu tun hat. Und noch weniger trauen den UBS-Leuten wohl zu, für das ferne Jahr 2060 exakte Prognosen zu machen.
Aber «10 vor 10» schockierte die Zuschauer mit der Botschaft: Der AHV geht es miserabel. Schuld sind die kommenden Rentnergenerationen. Die Politiker müssen dringend handeln.
Kaum ein Medium hinterfragte die Thesen der UBS-Studie
Die UBS-Studie wurde an einer Medienkonferenz der Grossbank vorgestellt. Mit der prominenten Gewichtung war das Schweizer Fernsehen in der Medienlandschaft allein auf weiter Flur. Grössere Tageszeitungen wie «Aargauer Zeitung», «Landbote», «St. Galler Tagblatt» und «Südostschweiz» druckten zur UBS-Studie nur eine kleine Meldung der Schweizerischen Depeschenagentur ab, die den Wortlaut des UBS-Papiers wiedergibt. Der «Blick» begnügte sich sogar mit einem Zweizeiler.
NZZ und «Basler Zeitung» verfassten zwar eigene Artikel, aber ebenfalls ohne die gemachten Aussagen der UBS zu hinterfragen. Einzig die «Neue Luzerner Zeitung» griff in einem Interview die Problematik der Studie auf. Der emeritierte St. Galler Professor Peter Gross kritisierte, dass die UBS davon ausginge, dass sich künftig alles gleich weiterentwickle wie bisher. Er zeigte sich überzeugt davon, dass sich in den nächsten Jahrzehnten sowohl politisch wie auch wirtschaftlich und technologisch sehr viel verändern werde.
Auf Panik machte auch «Eco», die Wirtschaftssendung des Schweizer Fernsehens. Deren Zuschauer wurden am 24. März mit düsteren Zukunftsaussichten zur AHV konfrontiert. Moderator Reto Lipp sagte mit dramatischem Unterton, dass die AHV-Rentenzahlungen von 3 Milliarden im Jahr 1960 auf heute fast 40 Milliarden Franken angestiegen seien. Grund sei «das Bevölkerungswachstum». Und Professor Martin Janssen – selbst im Pensionskassengeschäft tätig – durfte vor «mehreren Hundert Milliarden Schulden der AHV» warnen. Zwar würden die AHV-Einnahmen aufgrund des Bevölkerungswachstums zunehmen – aber all diese Leute hätten später auch einmal Ansprüche.
Fakt ist: Seit Jahren sind die Einnahmen höher als die Ausgaben
Die Drohungen mit dem Bankrott der AHV und dem gigantischen Schuldenberg für die Schweiz haben zwei Schwächen: Erstens blenden sie die Entwicklung des Sozialwerks in den letzten 50 Jahren aus, zweitens verschweigen sie den aktuellen Stand der AHV. In Tat und Wahrheit geht es der AHV heute nämlich finanziell so gut wie noch nie. Das Vermögen erreicht zurzeit den Höchststand von knapp 44 Milliarden Franken. Und jedes Jahr steigt der Betrag, weil die Einnahmen höher sind als die Ausgaben.
Pikant: Diese Entwicklung widerspricht allen bisherigen Prognosen des Bundesamts für Sozialversicherungen. Dessen Mathematiker verrechneten sich regelmässig und deutlich. Schon 1995 sagten sie rasch wachsende Defizite der AHV in den kommenden Jahren voraus. Für 2010 zum Beispiel gingen sie von einem Verlust von 3,7 Milliarden Franken aus. Tatsächlich erwirtschaftete die AHV einen Überschuss von 1,9 Milliarden.
Auch im letzten Jahr resultierte bei der AHV ein Gewinn
Was die Medien in ihren aktuellen Berichten verschweigen: Auch im letzten Jahr hat die AHV wieder gut abgeschnitten. Es resultierte ein Betriebsgewinn von 908 Millionen. Und dies, obwohl der Ertrag auf dem Vermögen nur gerade 2,8 Prozent betrug – deutlich weniger als der Durchschnitt der Pensionskassen.
Kommt hinzu: Die Prognosen für die AHV beruhen auf der demografischen Entwicklung. Immer weniger Erwerbstätige müssen für immer mehr Rentner aufkommen. Diese demografische Alterung ist jedoch kein neues Phänomen. In den Fünfzigerjahren kamen 4,5 Vollzeit-Erwerbstätige auf eine Person im Rentenalter. Heute sind es noch rund 2,5 Erwerbstätige. Trotzdem steigt das Vermögen der AHV noch jedes Jahr.
Grund für die nach wie vor gesunde AHV ist die Erwerbsquote und die Produktivität in der Schweiz. Entscheidend für die AHV-Einnahmen ist, wie viele Menschen in der Schweiz Arbeit haben und ob diese Leute produktiv arbeiten.
Die AHV profitiert zum Beispiel stark von Zuwanderern aus dem EU/EFTA-Raum. 53 Prozent der total 38 400 von 2003 bis 2012 in die Schweiz zugezogenen Erwerbstätigen waren gemäss einer Studie des Staatssekretariates für Wirtschaft (Seco) hoch qualifiziert. In seinem Bericht vom letzten Jahr kommt das Seco zum Schluss: «Die starke Zuwanderung hat die Alterung der Bevölkerung in den letzten Jahren verlangsamt und damit die umlagefinanzierten Sozialversicherungen der ersten Säule entlastet.»
Weil auch Schweizer in den Berufsgruppen der Führungskräfte, Akademiker und Techniker in den letzten zehn Jahren starke Beschäftigungszuwächse verzeichneten, profitiert die AHV gleich doppelt. Denn je höher der Lohn, desto grösser die Abgabe an die AHV. Die Rentenhöhe steigt aber deswegen nicht.
Noch etwas erwähnen die AHV-Kritiker mit keinem Wort: Immer mehr Frauen gehen einer bezahlten Arbeit nach. Allein von 1991 bis 2012 nahm die Erwerbsquote bei Frauen deutlich von 68,2 auf 77,2 Prozent zu.
Die UBS profitiert von der Angst der Leute um ihre Rente
Wenn sich die UBS Gedanken zur Bevölkerungsentwicklung macht und dazu Studien verfasst, ist das ihr gutes Recht. Journalisten und ein öffentlich-rechtlicher TV-Sender sollten jedoch die Botschaften, die so verbreitet werden, unter die Lupe nehmen. Denn die Beschäftigung der UBS mit den Renten ist nicht zweckfrei. Die Bank profitiert von der Angst der Bevölkerung um ihre Renten. Die Leute sind dann eher motiviert, privat fürs Alter zu sparen – etwa mit Fondssparplänen der UBS oder Sparguthaben in schlecht verzinsten 3a-Konten der UBS.