Als ein Arzt ihre Knochendichte mass, zeigte sich, dass Ursula Ruetsch an Osteoporose litt. Der Arzt verschrieb der 68-jährigen Solothurnerin das Medikament Fosamax. Nach der Einnahme spürte sie Nebenwirkungen: «Ich litt unter Muskelschmerzen in Beinen, Armen und im Rücken. Wegen der länglichen Form der Tabletten hatte ich Mühe, Fosamax zu schlucken.» In Absprache mit dem Arzt setzte Ruetsch Fosamax ab, nachdem sich ihre Knochendichte verbessert hatte. «Plötzlich verschwanden die Muskelschmerzen», erinnert sie sich.
Bei längerer Einnahme erkranken 2 von 1000
Fosamax hat auch eine andere Nebenwirkung: Kiefernekrose, das heisst das Absterben des Kieferknochens. Eine neue US-amerikanische Studie zeigt, dass das Risiko grösser ist als bisher angenommen: Einer von 1000 Patienten erkrankt an einer Kiefernekrose nach der Einnahme des Wirkstoffes Alendronat. Der Wirkstoff ist in Fosamax und seinen Generika enthalten. Wenn Patienten ein solches Medikament länger als vier Jahre einnehmen, erkranken 2 von 1000 daran.
Betroffene leiden unter stellenweise freigelegten Kieferknochen sowie manchmal unter Zahnfleischschmerzen. In schweren Fällen können sich Zähne und abgestorbene Teile des Kieferknochens ablösen. Meistens löst eine Behandlung beim Zahnarzt oder beim Kieferchirurgen die Kiefernekrose aus. Denn beim Ziehen von Zähnen und bei anderen Eingriffen kann es zu einer Infektion kommen, mit welcher der Kieferknochen nicht fertig wird.
In den USA sieht sich Fosamax-Hersteller Merck jetzt mit einer grossen Klagewelle konfrontiert: Laut einem Bericht der «New York Times» fordern rund 900 Patienten Schadenersatz, die nach der Einnahme von Fosamax eine Kiefernekrose entwickelt hatten. Ein Anwalt der Geschädigten wirft der Firma Merck vor, sie habe Ärzte nicht auf das Problem aufmerksam gemacht, obwohl es seit Jahren bekannt sei.
Fosamax ist das meistverwendete Medikament gegen Knochenschwund. Andere Medikamente, die wie Fosamax zur Gruppe der Bisphosphonate gehören, können die gleichen Nebenwirkungen verursachen. Urspeter Masche, Arzt in Basel und Redaktor der Zeitschrift «Pharma-Kritik», sagt: «Die anderen Bisphosphonate sind gleichermassen mit dem Problem der Kiefernekrosen behaftet – egal, ob sie als Tablette geschluckt oder als Spritze oder Infusion verabreicht werden.»
Ärzte sind sich einig: Bisphosphonate sind wirksame Medikamente. Denn sie vermindern das Risiko von Knochenbrüchen um die Hälfte. Auch Kiefernekrosen sind kein Grund, um Bisphosphonate nicht mehr zu verwenden. Masche sagt: «Ärzte sollten Bisphosphonate eher zurückhaltender verschreiben. Und sie müssen ihre Patienten besser über das Kiefernekrose-Risiko informieren.» Die Zeitschrift «Arznei-Telegramm» fordert, dass Bisphosphonate nur noch bei bestehenden Wirbelbrüchen eingesetzt werden oder bei einem grossen Risiko, dass sich die Osteoporose verschlimmert.
Patienten, die Bisphosphonate einnehmen, müssen auch mit ihrem Zahnarzt darüber sprechen – vor allem, wenn sie ein Implantat wünschen. Der Berner Mundchirurg Michael Bornstein erklärt: «Wenn nach einer Zahnentfernung die Wunde nach einem Monat nicht geheilt ist und der Knochen freiliegt, ist das ein Zeichen, dass sich eine Kiefernekrose entwickelt hat.» Dann dürfe der Zahnarzt kein Implantat setzen und müsse den Patienten an eine Fachklinik überweisen.
Ausser Bisphosphonaten stehen auch andere Medikamente gegen Osteoporose zur Verfügung, zum Beispiel Evista, das ebenfalls den Knochenabbau hemmt. Tibolon hingegen wirkt wie Östrogen und lässt die Knochendichte ansteigen. Doch die Wirkung der anderen Medikamente sei verglichen mit Bisphosphonaten eingeschränkt, sagt Michael Gengenbacher, Rheumaarzt am Basler Bethesda-Spital: «Evista vermindert nur das Risiko von Wirbelbrüchen deutlich, aber nicht an anderen Stellen des Skeletts.» Kalzium und Vitamin D sind laut Gengenbacher keine Alternative zu Bisphosphonaten: «Das sind Basis-Massnahmen. Patienten sollten darauf achten, dass sie parallel zu den Medikamenten genug Kalzium und Vitamin D einnehmen.»
Kiefernekrosen treten laut Merck nur «sehr selten» auf
Fosamax-Hersteller Merck, der in der Schweiz MSD heisst, schreibt in einer Stellungnahme: «Bisphosphonate wie Fosamax werden seit mehr als zehn Jahren erfolgreich eingesetzt.» Kiefernekrosen treten laut dem MSD-Sprecher «nur sehr selten» als Nebenwirkung auf. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2006 habe gezeigt, dass eine Kiefernekrose nur bei einem von 100‘000 Osteoporose-Patienten aufgetreten sei.
Tipps: So beugen Sie Osteoporose vor
- Trinken Sie wenig Alkohol, Kaffee und Cola. Machen Sie einen Rauchstopp.
- Nehmen Sie ausreichend Kalzium zu sich. Es ist vor allem in Hülsenfrüchten, Nüssen, Mineralwasser und Milchprodukten enthalten.
- Essen Sie regelmässig fetten Fisch wie Forelle oder Lachs. Er enthält viel Vitamin D. Meiden Sie phosphathaltige Lebensmittel wie Wurstwaren oder Schmelzkäse.
- Treiben Sie regelmässig Sport.
- Medikamente wie Bisphosphonate hemmen den Knochenabbau, sind aber kein Ersatz für gesunde Ernährung und viel Bewegung.
- Manche Ärzte verschreiben Östrogene zum Vorbeugen der Osteoporose. Doch sie haben starke Nebenwirkungen wie Krebs und Herzkrankheiten, und sie verhindern kaum Knochenbrüche.
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