Die Pendlerzeitung «20 Minuten» animierte ihre Leser, im Februar völlig auf Zucker zu verzichten. Das soll gut für die Gesundheit sein. Die Fitnesskette Holmes Place schreibt in ihrem Blog, bereits nach einem Monat ohne Zucker sei die Haut «klar und pickelfrei». Zudem nehme man ab. Die deutsche Foodbloggerin Hannah Frey behauptet, ein Verzicht auf Zucker wirke sich positiv auf das Herz aus. Sie berichtet darüber in ihrem Buch «Zuckerfrei – die 40-Tage-Challenge». Auch andere Bücher wie «Zuckerfrei in 30 Tagen» und «21-Tage-Zucker-Detox» rufen zum Zuckerverzicht auf.
Totaler Zuckerverzicht fördert Lust auf Süsses
Doch Fachleute sind skeptisch, dass der totale Verzicht auf Zucker der Gesundheit guttut. Beispiel Diäten: «Es ist schwierig, so abzunehmen», sagt Bettina Isenschmid. Die Chefärztin am Kompetenzzentrum für Essverhalten, Adipositas und Psyche am Spital Zofingen AG erklärt, zwar verliere der Körper während der Diät Wasser. Doch Fettgewebe baue er kaum ab. Isst man danach wieder wie vorher, ist das alte Gewicht bald zurück – oder man nimmt gar noch zu. Denn viele Leute entwickeln während des Verzichts eine grosse Lust auf Süsses. Bettina Isenschmid: «Wenn sie danach wieder Zucker essen dürfen, holen sie Verpasstes einfach nach.»
Zudem ist fraglich, ob Zucker der Haut schadet. David Fäh, Präventivmediziner der Fachhochschule Bern, sagt, dazu gebe es keine aussagekräftigen Untersuchungen. Ebenfalls umstritten ist, ob Zucker schlecht fürs Herz ist. Man weiss zwar, dass Zucker dann gefährlich wird, wenn er Übergewicht verursacht oder die Leber zu stark belastet. Sonst wirkt er auf den Körper wie andere Kohlenhydrate. Ob Zucker bei normalgewichtigen, gesunden Personen ein Risiko darstellt, ist ungewiss.
Der abrupte Verzicht auf Zucker ist zudem unangenehm. Bettina Isenschmid sagt: «Menschen reagieren mit Stimmungsschwankungen, Traurigkeit und Unruhe.» Denn oft dient Zucker als Belohnung. Wenn diese fehlt, fühlt man sich schlecht. Zudem sind die Betroffenen müde. Denn der Körper muss dann Energie vermehrt aus den Fettreserven gewinnen, was aufwendiger ist.
Riskant sei der Verzicht für Leute, die eine Essstörung hatten, sagt Bettina Isenschmid: «Sie erleiden oft einen Rückfall.» Denn der strikte Verzicht auf Süsses könne einen Kontrollverlust auslösen: «Betroffene bekommen Essattacken, wenn der Druck zu gross wird.»
Für die Fachleute ist zwar klar, dass die meisten Menschen zu viel Zucker essen. Ernährungsberaterin Beatrice Fischer aus Meiringen BE rät aber, Zucker besser schrittweise zu reduzieren (siehe Kasten). «So gewöhnt man sich langsam an den weniger süssen Geschmack und schafft es eher, dauerhaft weniger süss zu essen», sagt Fischer.
Die Werbeleiterin der Fitnesskette Holmes Place schreibt, der erwähnte Blog sei vor ihrer Zeit entstanden. Die Marketingzentrale in Portugal habe ihn erstellt.
Schritt für Schritt zu weniger Zucker
- Reduzieren Sie den Konsum von Süssgetränken glasweise.
- Mischen Sie Fruchtjoghurt mit Naturejoghurt.
- Essen Sie zwischendurch ein kleineres Stück Schokolade – und geniessen Sie es!
- Verzichten Sie auf Fertiggerichte. Sie enthalten oft Zucker.
- Bereiten Sie gesunde Snacks vor, etwa Nüsse, Trockenfrüchte und Quark mit Gemüse.