Andreas Gantenbein ist Chefarzt der Rehaclinic in Zurzach. Zudem präsidiert er die Schweizerische Kopfwehgesellschaft. Sie gibt Ärzten Tipps für Therapien und liefert Betroffenen Informationen zu Kopfweh. Der Spezialist für Migräne äusserte sich in den Medien immer wieder positiv zu den neuen und teuren Spritzen gegen Migräne wie Aimovig. Dank diesen Spritzen sollen Patienten angeblich weniger Anfälle bekommen.
Im «Blick» vom 1. Oktober 2018 sagte Gantenbein, die Spritze von Hersteller Novartis sei «wirklich ein Durchbruch»: Patienten würden sie gut vertragen und sie habe wenig Nebenwirkungen. In der «Aargauer Zeitung» vom 1. August des gleichen Jahres sagte er, die Nebenwirkungen seien «fast nicht» von denen eines Scheinmedikaments zu unterscheiden. In der TV-Sendung «CheckUp» und in der Zeitschrift «50plus» liess sich Gantenbein mit einer seiner Patientinnen befragen. Sie erzählte, dass sie dank Aimovig viel weniger oft Migräneattacken erleide.
Viele Fachleute sehen den Nutzen der Spritzen weniger euphorisch. Laut dem deutschen Arzneimittelexperten Wolfgang Becker-Brüser schützen bewährte Mittel wie Betablocker «etwa gleich gut» wie die Spritze. Gemäss dem Arzt Daniel Tapernoux von der SPO Patientenorganisation haben Studien gezeigt, dass die Migränespritzen bei einem Teil der Patienten nur in sehr bescheidenem Ausmass wirken.
Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber der Zeitschrift «Pharma-Kritik», rät, solche neuen Therapien «skeptisch zu betrachten» und einige Jahre abzuwarten, bis man sich damit behandeln lässt. Eine Behandlung mit der Spritze Aimovig kostet rund 7000 Franken pro Jahr. Das ist 40 Mal so viel wie die bewährte Therapie mit Betablocker.
Fünfstelligen Betrag von Novartis erhalten
Was Andreas Gantenbein bei seinen öffentlichen Auftritten verschweigt: In den letzten Jahren bekam er von Novartis einen fünfstelligen Betrag für Beratungen und Vorträge. Auch von anderen Firmen erhielt Gantenbein Geld, etwa von Teva, welche die Migränespritze Ajovy herstellt. Laut der Rechercheplattform Pharmagelder.ch erhielt er in den Jahren 2017 und 2018 total über 35000 Franken von verschiedenen Herstellern.
Gantenbein arbeitete auch an Forschungsarbeiten mit, die Novartis zahlte. Im letzten Jahr erschien er als Autor einer Studie zu Aimovig: Beteiligt an der Studie waren drei Novartis-Angestellte und ein Mitarbeiter der Pharmafirma Amgen, welche die Spritze mitentwickelt hatte. Kein Wunder, schnitt Aimovig gut ab.
Gantenbein hielt immer wieder Vorträge an grossen Fachtagungen, welche die Hersteller der Migränespritzen Aimovig, Ajovy und Emgality bezahlten. Solche Referate hielt er diesen Februar an einer Kopfschmerztagung in Wien und letztes Jahr an Kongressen in Bern, Lausanne, Oslo und Dublin.
Ausserdem hatte er einen Auftritt in einem Bericht zur Migränespritze Emgality, den der Hersteller Eli Lilly zahlte. Er erschien im vergangenen April in der Zeitschrift «Medical Tribune».
Auf der Ärzteplattform Medscape im Internet trat Gantenbein 2018 als Moderator einer Sendung zu Migränespritzen auf. Auch diesen Beitrag finanzierte Novartis. Die Botschaft eines Einblenders: Die Wirkstoffe in den Migränespritzen seien ein «grosser Schritt vorwärts» in der Migränevorsorge.
«Wer Geld erhält, ist nicht unabhängig»
Der deutsche Arzt David Klemperer befasst sich seit längerem mit Interessenkonflikten in der Medizin. Er kommentiert Gantenbeins Rolle kritisch. Wenn ein Arzt Geld vom Hersteller eines Produkts erhalte, sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er das Produkt positiver beurteile, als wenn er kein Geld erhalten hätte. Er sagt, dieser Effekt trete «automatisch und unbewusst» auf. «Es ist daher ratsam, Interessenkonflikte zu meiden und Abstand zu den Herstellern von Arzneimitteln zu halten.» Der emeritierte Arzt und Professor Martin Fey vom Berner Inselspital beurteilt bezahlte Referate kritisch: «Die Firmen kaufen für satte Honorare Referenten ein. Diese halten naturgemäss Vorträge, die das neue Medikament in ein positives Licht rücken.» Fey sagt weiter: «Ein Arzt, der persönliche Geldbezüge erhält, ist nicht unabhängig.»
Verschiedene Studien zeigen, dass Ärzte Medikamente wohlwollender beurteilen, wenn sie vom Hersteller Geld bekommen haben. Eine Untersuchung der US-amerikanischen Investigativplattform Pro Publica von 2016 analysierte die 50 meistverschriebenen Medikamente. Resultat: Bekamen die Ärzte Geld vom Hersteller, verschrieben sie das Medikament mehr als 50 Prozent häufiger als Ärzte, die kein Geld bekamen.
Auch andere Vorstandsmitglieder der Kopfwehgesellschaft bezogen in den letzten Jahren Gelder von Medikamentenherstellern – zum Beispiel Peter Sandor, ebenfalls Chefarzt an der Rehaclinic. Gemäss der Schweizerischen Neurologischen Gesellschaft war er von 2014 bis 2018 Mitglied in Beratungsgremien von acht Pharmafirmen: Allergan, Biogen, Boehringer, Ely Lilli, Novartis, Roche, Sandoz und Teva. Dafür deklarierte er Einkünfte von unter 5000 Franken. Laut Pharmagelder.ch erhielt er in den Jahren 2017 und 2018 rund 4000 Franken von Novartis und Almirall.
Der Kopfwehexperte Thomas Lempert von der Schlosspark-Klinik in Berlin hält diese Beratungsgremien für problematisch: «Sie sind Marketinginstrumente für die Pharma.» Für ihn ist klar: «Pharmafirmen holen Ärzte an Bord, damit sie mit ihrem guten Namen für ein Produkt einstehen.»
«Mit den Beiträgen sind Erwartungen verbunden»
Auch die Kopfwehgesellschaft bekommt Geld von der Pharmaindustrie. Laut ihrer Website sind dieses Jahr Eli Lilly und Novartis sogenannte «Premium Partner». Sie stellen die Spritzen Aimovig und Emgality her. Wie Pharmagelder.ch aufzeigt, hat die Gesellschaft 2017 und 2018 fast 100000 Franken von Pharmafirmen bekommen.
Thomas Lempert sagt, diese Finanzierung sei für die Kopfwehgesellschaft nicht unbedenklich: «Pharmafirmen spenden das Geld nicht aus Nächstenliebe, sondern weil sie ihre Produkte verkaufen wollen. Mit diesen Beiträgen sind Erwartungen verbunden.» Pikant: In den Therapieempfehlungen der Kopfwehgesellschaft sind die neuen Migränespritzen als Behandlungsmethoden aufgeführt – gleichwertig mit den erprobten günstigeren Methoden.
Etzel Gysling beurteilt die Geldflüsse von den Herstellern zur Kopfwehgesellschaft als «heikel». Auch Daniel Tapernoux von der SPO Patientenorganisation hält solche Geldflüsse für «problematisch». Denn: «Laien können unmöglich feststellen, ob die Sponsoren die Therapieempfehlungen beeinflusst haben.»
Kopfwehgesellschaft betont Unabhängigkeit
Andreas Gantenbein schreibt, die Kopfwehgesellschaft lege grossen Wert darauf, dass ihre Projekte von mehreren, unabhängigen Unternehmen unterstützt würden und nicht durch eine einzelne Firma. Damit wolle man die Unabhängigkeit der Gesellschaft gewährleisten. Zudem regle sie die Verwendung aller Sponsoringbeiträge vertraglich «genauestens» und halte die Gegenleistungen fest. Die Gesellschaft und der Sponsor würden mögliche Interessenkonflikte im Vorfeld im Detail prüfen. Sponsoren hätten keinen Einfluss auf Inhalt und Form der Projekte der Gesellschaft.
Peter Sandor schreibt, er habe in den Beratungsgremien der Pharmafirmen eine «Beratungstätigkeit im Bereich Kopfschmerzen» ausgeübt, etwa zum Krankheitsbild in der Praxis. Es sei «schwer zu beurteilen und auch nicht Ziel der Beratertätigkeit» gewesen, Erkenntnisse aus dieser Tätigkeit in die Kopfwehgesellschaft einzubringen.
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