Sie stecken in einer runden Bonbondose und leuchten in allen Farben: die «Vibovit»-Fruchtgummis für Kinder. Der Hersteller kommt nicht aus der Nahrungsmittelbranche – es ist der Pharmamulti Mepha Pharma mit Sitz in Basel. Die Vibovit-Gummis enthalten zehn Vitamine und Mineralstoffe. Diese sollen bereits Kinder ab vier Jahren «bei ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung» unterstützen.
Sie sind ein gutes Geschäft: Eine Packung Vibovit mit 50 Fruchtgummis kostet rund 20 Franken. Auch andere Firmen wie Nestlé, Bayer und Migros verkaufen solche Präparate (siehe Tabelle im PDF).
Fruchtgummis enthalten zu viel Selen
Fachleute warnen vor solchen Produkten. Ernährungsexpertin Lioba Hofmann sagt: «Sie sind für Kinder problematisch.» Denn es bestehe das Risiko, dass Kinder zu viele Vitamine und Mineralstoffe aufnehmen. Beispiel: Ein Vibovit-Gummi enthält gleich fünf Inhaltsstoffe, die für ein vierjähriges Kind zu hoch dosiert sind (siehe Tabelle im PDF). Einer davon ist Selen. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für dieses Alter 20 Mikrogramm Selen pro Tag. Ein Fruchtgummi enthält aber bereits 27,5 Mikrogramm. Hofmann sagt: «Zu viel Selen ist riskant.» Es kann zu Nervenstörungen, Müdigkeit, Gelenkschmerzen und Übelkeit führen. Auch Kinderarzt Udo Meinhardt aus Dübendorf ZH rät davon ab, solche überdosierten Präparate über längere Zeit zu schlucken.
Besonders verwirrend: Auf den Packungen ist zwar angegeben, wie viel Prozent des Tagesbedarfs die Produkte decken – allerdings ist der Tagesbedarf eines Erwachsenen angegeben und nicht der eines Kindes. So will es das Gesetz. Auf den «Vibovit»-Fruchtgummis steht etwa, dass ein Stück 50 Prozent des Tagesbedarfs an Selen decke. Ein vierjähriges Kind nimmt mit einem Fruchtgummi über 130 Prozent der empfohlenen Tagesmenge auf.
Schokotäfelchen: Fast zur Hälfte aus Zucker
Die Bonbons, Sirups und Schokoladen mit Vitaminen sind zudem sehr süss. Die Vibovit-Gummis und die Schokoladetäfelchen von «Nestrovit» bestehen fast zur Hälfte aus Zucker.
Die meisten Kinder nehmen bereits über die Nahrung genügend Vitamine und Mineralstoffe auf. Das zeigte die deutsche Donald-Studie aus dem Jahr 2003. Nur Folsäure, Vitamin B5 und Vitamin D nahmen sie zu wenig über die Nahrung auf. Die Studienautoren warnten aber vor einem «unkritischen Konsum von Multivitaminen».
Udo Meinhardt rät Eltern: «Lassen Sie sich vom Kinderarzt nur jene Vitamine verschreiben, die Ihr Kind braucht.»
Die Firma Mepha schreibt, Kinder sollten nicht ständig Vibovit-Gummis essen, sondern nur in «speziellen Situationen» wie bei einem «extremen Wachstumsschub». Dann sei der Selen- und Zinkbedarf bei Kindern meist erhöht. Auch Pharmaton und Nestlé empfehlen den Kiddi Vital-Sirup und Nestrovit nur in «Situationen mit erhöhtem Vitaminbedarf». Bayer schreibt, die Supradyn-Präparate entsprächen den Vorgaben des Lebensmittelgesetzes. Die Migros schreibt, es sei unproblematisch, wenn kleine Kinder mit Actilife mehr Vitamine aufnehmen, als sie benötigen: Die überschüssigen Vitamine würden ausgeschieden. Der Hersteller von Arkoroyal Wachstum schreibt, das Produkt enthalte keine überdosierten Vitamine: Allerdings orientiert er sich nicht an schweizerischen, sondern an US-Richtlinien.