Die 73-jährige Rita Tschanz aus Aarau unterzog sich vor vier Jahren einer Darmspiegelung. Dabei untersuchen Ärzte den Dickdarm, um Wucherungen aufzuspüren, aus denen ein Krebs entstehen kann. Doch bei Tschanz ging der Untersuch schief: Die Ärztin durchstiess den Darm der Patientin mit der Sonde, was starke Bauchschmerzen auslöste.
Ärzte der HirslandenKlinik Aarau stellten Anzeichen einer Bauchfellentzündung fest. Sie mussten die Patientin zweimal operieren. Rita Tschanz hatte grosse Angst: «Ich wusste, dass Infektionen im Bauch lebensgefährlich sind.» Der Gesundheitstipp berichtete vor drei Jahren über die missglückte Darmspiegelung (Gesundheitstipp 6/2019).
Heute geht es Rita Tschanz wieder besser. Zwar darf sie nach wie vor keine schweren Lasten tragen. Und sie spürt die Narbe im Darm immer noch. Aber die Schmerzen, unter denen sie lange litt, sind inzwischen verschwunden.
Wucherungen im Darm sind meist harmlos
Behörden und Ärzte empfehlen allen Gesunden ab Alter 50, eine Darmspiegelung machen zu lassen. Experten sprechen von einem Screening oder von Massenuntersuchen. Doch bei einer von tausend Darmspiegelungen passiert das Gleiche wie bei Rita Tschanz: Die Ärzte verletzen den Darm. Das zeigt eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums.
Die Methode kann nicht nur Schäden verursachen – auch ihr Nutzen ist umstritten. Die Zeitschrift «New England Journal of Medicine» veröffentlichte vor kurzem eine Studie mit über 80 000 Teilnehmern aus Polen, Norwegen, Schweden und den Niederlanden. Ergebnis: Patienten, die eine Darmspiegelung machen, leben im Durchschnitt nicht länger als solche ohne Untersuch. Grund: Die meisten Gewebewucherungen, die Ärzte mit einer Darmspiegelung finden, sind harmlos.
Und Patienten mit Darmkrebs sterben oft aus anderen Gründen, noch bevor der Krebs für sie zu einem Problem wird. Hinzu kommt: Nur aus den wenigsten Polypen entsteht ein Tumor.
Die Gesundheitswissenschafterin Ingrid Mühlhauser von der Uni Hamburg kritisiert, das massenhafte Durchführen der Darmspiegelung bei Gesunden habe viele «Überdiagnosen und Übertherapien» zur Folge. Experten empfehlen die Darmspiegelung ab 50 Jahren nur Leuten mit erhöhtem Krebsrisiko (siehe Merkblatt).
Tests lösen unnötige Behandlungen aus
Auch andere Vorsorgeuntersuche für ganze Bevölkerungsgruppen stehen in der Kritik der Experten: etwa die Mammografie, der PSA-Test oder die Knochendichtemessung (siehe Tabelle im PDF). Ingrid Mühlhauser sagt, diese Tests würden mehr schaden als nützen. In manchen Fällen sei das frühe Aufspüren von Krankheiten sinnvoll. Bei jedem Test bestehe aber das Risiko von Fehldiagnosen.
Beispiel Mammografie: Frauenärzte empfehlen allen Frauen ab 50 Jahren, sie sollten regelmässig ihre Brüste röntgen lassen. Doch vor vier Jahren zeigte eine Übersichtsstudie im «British Medical Journal»: Mammografieprogramme vermindern die Zahl der Todesfälle nicht. Denn oft wachsen Tumore so langsam, dass Frauen vorher an anderen Ursachen sterben, etwa an Herzkrankheiten.
Hinzu kommt: Wie bei der Darmspiegelung haben Mammografieprogramme zur Folge, dass Ärzte bei vielen gesunden Frauen Brustkrebs vermuten. Doch nur bei einer von zehn Frauen bestätigt sich dieser Verdacht. Die Mammografie löst bei vielen Frauen grosse Ängste aus und führt zu unnötigen Behandlungen. Ingrid Mühlhauser: «Zudem gibt es auch bei einem unauffälligen Befund keine absolute Sicherheit.» Deshalb riet das inzwischen aufgelöste Gremium Swiss Medical Board, auf Mammografieprogramme zu verzichten.
Fachleute empfehlen den Untersuch vor allem Frauen ab 40 Jahren, die ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs haben. Ein solches Risiko besteht, wenn Ärzte bereits einmal Vorstufen oder gar Krebs festgestellt haben. Auch wenn die Mutter oder die Schwester an Brustkrebs erkrankten, ist ein Untersuch sinnvoll.
Osteoporose: Test gilt als unzuverlässig
Seit Jahren ist auch umstritten, ob sich alle Frauen die Knochendichte messen lassen sollen. Ärzte wollen damit das Risiko für Osteoporose, also für brüchige Knochen, abklären. Die Untersuchung besteht in der Regel aus einem Röntgenbild der Wirbelsäule und der Hüfte.
Doch die Methode gilt als unzuverlässig (Gesundheitstipp 3/2015). Fachleute empfehlen das Messen der Knochendichte frühestens ab 65 Jahren und nur Frauen, die ein erhöhtes Risiko haben – zum Beispiel weil es in der eigenen Familie Fälle von Osteoporose gibt.
Gratis-Merkblatt: «Diese Vorsorgetests sind sinnvoll»
Das Merkblatt lässt sich hier herunterladen.