Auf der Internetseite der Klinik Arlesheim BL steht, es gebe «keinen Zweifel», dass Misteln bei Krebs wirkten. Das Pflanzenextrakt könne das geschwächte Immunsystem stärken. So seien Patienten fast vollständig gefeit gegen Infekte und würden Krebsmedikamente besser vertragen. Zudem bestünden «eindeutige Chancen», dass die Patienten länger lebten. Die Klinik ist mitbeteiligt an der Herstellung des Mistelpräparats Iscador. Auch Swissphar, Hersteller von Helixor, dem zweiten zugelassenen Mittel, schreibt im Internet, die Mistel könne das Tumorwachstum hemmen.
Kein Wunder, dass immer mehr Kranke auf Mistelpräparate setzen. Laut dem Branchenverband Interpharma bezogen Schweizer letztes Jahr 29 000 Packungen – 6000 mehr als im Jahr zuvor. Den Wirkstoff spritzen sich die Patienten selber unter die Haut. Die Grundversicherung bezahlt die Kosten.
Doch Fachleute raten von dieser Therapie ab. Josef Beuth, Direktor des Instituts für Naturheilkunde der Uni Köln, sagt: «Die Versprechen sind Unfug.» Es gebe keine Beweise dafür, dass Misteln gegen Krebs helfen.
Das internationale Cochrane-Forschernetzwerk hat die vorliegenden Daten zur Wirkung von Misteln analysiert. Fazit: Es gibt keine vertrauenswürdige Studie, die belegt, dass Misteln das Leben verlängern oder die Nebenwirkungen von Krebsmedikamenten verringern.
«Der Patient kann noch kränker werden»
Ausserdem braucht es laut den Cochrane-Forschern dringend Untersuchungen dazu, ob solche Präparate den Patienten nicht sogar schaden. Beuth bestätigt: «Es besteht das Risiko, dass solche Medikamente den Krebs noch fördern.» Zwar soll das Extrakt laut den Herstellern die weissen Blutkörperchen aktivieren. Diese schützen den Körper vor Krankmachern. Doch laut Beuth kann Mistelextrakt gleichzeitig auch die Krebszellen aktivieren, sodass diese sich vermehren. «Dann wird der Patient noch kränker.» Besonders gross sei das Risiko für Menschen mit Blutkrebs. Denn die Krebszellen seien den Abwehrzellen sehr ähnlich.
Zudem könne es sein, dass die Misteln die Nebenwirkungen der Krebsmedikamente nicht abschwäche, sondern verstärken. Beuth: «Die Spritzen machen die Haut empfindlich.» So könne sie anfälliger werden für Nebenwirkungen wie Juckreiz oder Schuppen.
In vielen Fällen sei es ohnehin sinnlos, das Immunsystem zu stärken. Denn die starken Krebswirkstoffe würden das Immunsystem gänzlich ausser Kraft setzen. Beuth: «Die Wirkung der Mistel verpufft und kostet nur Geld.» Zudem erhole sich das Immunsystem innerhalb von sechs bis acht Wochen oft von alleine von der Krebstherapie.
Die Hersteller von Iscador schreiben, sie hätten 50 Jahre Erfahrung mit Mistelextrakten und behandelten 6000 Patienten pro Jahr. Ihre Erfahrungen sowie neue Studien zeigten, dass Mistelextrakte das Leben von Krebskranken verlängerten und ihre Lebensqualität teilweise massiv verbesserten. Nachteile für das Immunsystem gebe es keine. Die Cochrane-Analyse sei nicht auf dem neusten Stand der Forschung. Sie räumen ein, dass Blutkrebspatienten auf eine Misteltherapie verzichten sollten, während sie hohe Dosen von Krebsmitteln einnehmen. Laut Beuth haben auch diese neuen Studien Mängel. Bei einigen handle es sich nur um Versuche im Reagenzglas.
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