Veronika Meyer, 56: «Im fünften Anlauf hats geklappt»
Durchfall, Atemnot, eiskalter Wind – viermal kehrte Veronika Meyer<br />
am Mount Everest um. Im fünften Anlauf gelang die Besteigung.
Inhalt
Gesundheitstipp 09/2007
12.09.2007
Andreas Gossweile
Veronika Meyer, die meisten Leute lagen in den Ferien gemütlich am Strand. Sie stiegen auf den Mount Everest. Warum?
Die Expedition war gemütlich! Sie dauerte zwei Monate. Wir waren aber nur während 20 Tagen am Berg unterwegs. Wir mussten lange im Basislager warten, bis das Wetter
gut war.
War die Wartezeit nervenaufreibend?
Für mich nicht. In den letzten Jahren versuchte ich viermal, den Everest zu b...
Veronika Meyer, die meisten Leute lagen in den Ferien gemütlich am Strand. Sie stiegen auf den Mount Everest. Warum?
Die Expedition war gemütlich! Sie dauerte zwei Monate. Wir waren aber nur während 20 Tagen am Berg unterwegs. Wir mussten lange im Basislager warten, bis das Wetter
gut war.
War die Wartezeit nervenaufreibend?
Für mich nicht. In den letzten Jahren versuchte ich viermal, den Everest zu besteigen – erfolglos. Ich wusste, dass es nichts nützt, wenn man ungeduldig ist. Ausserdem bin ich ein fauler Mensch. Im Basislager lag ich den ganzen Tag im Schlafsack und las. Das fand ich wunderbar.
Wenn Sie wirklich faul wären, hätten Sie kaum den höchsten Berg der Welt bestiegen.
Ich gebe zu, dass ich auch ehrgeizig bin.
Warum gelang die Besteigung erst beim fünften Mal?
Zweimal bekam ich Durchfall. Einmal litt ich unter Atemnot, denn meine Nasenscheidenwand war aufgrund eines Sturzes verkrümmt. Am besten lief es vor vier Jahren. Damals gelangten wir bis 300 Meter unterhalb des Gipfels. Dann mussten wir umkehren.
Warum?
Es blies ein sehr starker Wind. Die Gefahr von Erfrierungen war zu gross. Obwohl ich den Gipfel damals nicht erreichte, gab mir die Expedition das nötige Selbstvertrauen. Ich spürte, du kannst es schaffen.
Eine Studie zeigt, dass die Besteigung des Mount Everest mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird. Haben Sie das auch gemerkt?
Ja. Man wird weniger beweglich und hat weniger Kraft. Zudem war ich früher risikofreudiger. Dieses Jahr sagte ich mir: Ich bin jetzt 56, dies ist mein letzter Versuch.
Wie haben Sie für die Everest-Besteigung trainiert?
Ich machte nur Krafttraining und ging in die Berge, das war alles. Das Training ist nicht das Wichtigste.
Was ist denn das Wichtigste?
Man muss die dünne Höhenluft gut vertragen. Für mich ist das kein Problem. Trotzdem brauchte ich ab 7800 Metern eine Sauerstoffmaske.
Manche gehen ohne Sauerstoff hinauf. Hätten Sie das geschafft?
Nein. Das ist etwas für junge Ausnahmekönner. Wir hatten einen französischen Bergführer, der ohne Sauerstoff aufstieg. Die letzte Etappe war für ihn sehr hart. Er hatte grosse Mühe, genug Sauerstoff zu kriegen.
Spürten Sie Anzeichen der Höhenkrankheit?
Auf 7000 Metern hatte ich etwas Kopfweh – das Zeichen für Höhenkrankheit. Wird es migräneartig, muss man sofort absteigen. Aber so schlimm war es bei mir nie.
Es gibt wenig Frauen, die auf einen 8000er steigen.
Ja, das ist schade. Denn wir Frauen sind in den Bergen ausdauernder als die Männer. Ich war nie kaputt nach einer Expedition. Ich habe meine Energie immer gut eingeteilt.
Viele sterben am Mount Everest. Hat dieser Berg Ihr Verhältnis zum Tod verändert?
Eher hat sich mein Verhältnis zum Berg verändert. Vor vier Jahren sah ich plötzlich Steigeisen, die unter einem Stein herausragten. Dann sah ich zwei Beine. Ich merkte, dass eine Leiche am Weg lag. Da wurde mir klar, dass ich mich in der sogenannten Todeszone befand. Wenn mir etwas passiert wäre, hätte mir niemand helfen können. Ich habe mehr Respekt vor dem Berg gewonnen.
Veronika Meyer
Die 56-jährige St. Gallerin ist Chemikerin bei der Empa. Sie hat gegen 900 verschiedene Gipfel bestiegen. Im Mai gelang ihr beim fünften Anlauf die Besteigung des 8850 Meter hohen Mount Everest. Damit hat sie als erste Schweizerin auf jedem Kontinent den höchsten Berg bestiegen.