Detailhändler wie Coop, Migros oder Lidl werben zurzeit unter dem Schlagwort «Veganuary» im grossen Stil für ihre veganen Fertigprodukte. Dazu gehören zum Beispiel Burger aus Weizenprotein, Käse aus Kokosöl und Wasser, Würstchen aus Soja oder Pouletfilets aus Erbsenprotein.
Diese Produkte haben eines gemeinsam: Sie sind alle stark verarbeitet und haben mit einer ausgewogenen veganen Ernährung aus Hülsenfrüchten, Nüssen, Gemüse und Salaten wenig zu tun. Zudem stehen sie oft im Widerspruch zur veganen Idee. Das englische Fachblatt «New Scientist» schrieb vor kurzem gar von einer Irreführung der Veganer: Solche Fertigprodukte seien eine «vegane Illusion». Der Gesundheitstipp zeigt dies an drei Beispielen.
Illusion 1: Vegane Produkte sind gesund
Viele Leute essen vegan, weil eine Ernährung aus Pflanzen gesünder ist. Der Grund liegt auf der Hand: Viele Studien zeigen, dass zum Beispiel das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten sinkt. Lebensmittel aus Pflanzen enthalten kein Cholesterin, das sich an den Gefässen ablagern kann. Doch vegane Fertigprodukte machen diesen Effekt zunichte, wie kürzlich eine Studie der Universität von Paris zeigte. Die Forscher hatten die Ernährungsweise von 21000 Fleisch- und Fischessern, Vegetariern und Veganern untersucht. Fazit: Essen Veganer viele Fertigprodukte, entfällt der gesundheitliche Vorteil der Ernährung auf Pflanzenbasis. Im Gegenteil: Veganer, die viele Fertigprodukte essen, sind oft übergewichtig. Grund: Vegane Fertigprodukte enthalten oft viele Kalorien, zu viel Fett, Salz und Zucker. Die Forscher kommen zum Schluss: Vegane Produkte sind «schlimmer für die Gesundheit als Fleisch». Gesundheitstipp-Leser, die sich vegan ernähren, berichten, dass sie im Laden jedes Fertigprodukt auf die Inhaltsstoffe prüfen müssen, bevor sie es kaufen. Ein regelrechter Spiessrutenlauf.
Illusion 2: Die Produkte verhindern Tierleid
Viele Leute essen vegan, weil ihnen das Tierwohl am Herzen liegt. Doch vegane Fertigprodukte heissen ausgerechnet «Geschnetzeltes», «Burger» «Würstchen» oder «Schnitzel». Das ist widersinnig. Was viele Veganer zudem nicht wissen: Mit dem Kauf von Fertigprodukten unterstützen sie oft eine Industrie, die mit tierischen Produkten das grosse Geld macht. Dazu zählt zum Beispiel Hilcona, eine Tochterfirma der Bell Group. Sie stellt vegane Schnitzel, Nuggets oder Burger her. Im Jahr 2020 erzielte die Bell Group einen Umsatz von 4,1 Milliarden Franken – mit dem Verkauf von Fleisch und Fleischwaren. Die Bell Group investiert zurzeit in den Neubau von Schlachtbetrieben. Auch Nestlé, Unilever oder der Fleischbetrieb Fredag mischen in diesem Geschäft mit (siehe Kasten).
Sandra Franz von der Tierschutzorganisation Animal Rights Watch sagt: «Wir lehnen vegane Produkte von Konzernen ab, die auch Geld mit dem Ausbeuten und Töten von Tieren erwirtschaften.» Und Ernährungsexpertin Lioba Hofmann kritisiert: «Die Fleischindustrie macht das grosse Geschäft und verdrängt kleinere und nachhaltige Unternehmen vom Markt, die vegane Produkte aus Überzeugung anbieten.»
Noch ist der Markt für vegane Produkte klein – aber er wächst, wie Zahlen des Bundesamts für Landwirtschaft zeigen: Der Detailhandel erwirtschaftete 2020 mit Fleischersatzprodukten einen Umsatz von 117 Millionen Franken. 2016 waren es 60 Millionen.
Illusion 3: Die Produkte sind gut für die Umwelt
Viele Leute essen vegan, um die Umwelt zu schonen. Für Tierfutter rodet man den Regenwald. Rinder erzeugen die schädlichen Klimagase Methan und Kohlendioxid. Aber: In Brotaufstrichen und veganen Würstchen steckt häufig Palmöl. Und auch für Palmölplantagen rodet man Regenwälder, insbesondere in Malaysia. Die Schweiz importierte 2020 rund 22000 Tonnen Palmöl und Palmkernöl. Die für vegane Fertigprodukte benötigten Proteine importiert man fast ausnahmslos aus dem Ausland. Das ist dem «Fleischersatz-Report» des Bundesamts für Landwirtschaft zu entnehmen. Das heisst: Tofu, Kokosfett und Seitan haben meist lange Transportwege hinter sich. Ernährungsberaterin Erica Bänziger aus Tegna TI sagt: «Viele Inhaltsstoffe sind alles andere als umweltfreundlich.»
Fachleute sind sich einig: Wer sich ausgewogen vegan ernähren will, sollte solche Produkte meiden. Erica Bänziger: «Fertigprodukte haben in der veganen Ernährung nichts verloren.» Stattdessen sollten Veganer auf frische Lebensmittel und kreatives Zubereiten setzen. Vegan zu kochen, müsse nicht aufwendig sein, sagt Bänziger. «Das Essen kann schnell, gesund und günstig sein.» Am besten legt man einen kleinen Vorrat an: Sojasauce, Tomatenpüree, Kokosmilch, Currypaste, Tofu und Hülsenfrüchte. Gekochte Hülsenfrüchte lassen sich gut mehrere Tage lang im Kühlschrank aufbewahren. Wer am Wochenende einen Topf Linsen kocht, kann sie unter der Woche portionenweise aufwärmen. Wie der Einstieg in die vegane Ernährung gelingt, zeigt der Gesundheitstipp im Merkblatt «Vegan essen» (siehe unten).
Das sagen die Hersteller der Fertigprodukte
Néstle schreibt, ihre Produkte seien so gekennzeichnet, dass Konsumenten sofort erkennen würden, wie gesund sie seien. Man habe eine Vielzahl von Projekten lanciert, um das Klima zu schützen. Nestlés «Garden Gourmet»-Burger verursache rund 80 Prozent weniger CO2-Emissionen als ein Burger aus Rindfleisch.
Coop sagt, Fertigprodukte seien eine Ergänzung zu einer ausgewogenen veganen Ernährung. Einige Rohstoffe müsse man aus dem nahen Ausland importieren. Coop sei bestrebt, den Anteil an Schweizer Rohstoffen weiter zu erhöhen.
Unilever sagt, mit der Produkte-linie «The Vegetarian Butcher» wolle man Konsumenten einen «mühelosen Umstieg» auf veganes Essen ermöglichen. Mit den Fertigprodukten werde «der Druck auf die Ökosysteme deutlich reduziert».
Die Migros hält fest, mit der Kampagne «Veganuary» bewerbe man nicht nur Fertigprodukte, sondern auch vegane Kochrezepte und Kochkurse für die vegane Ernährung. Zudem verkaufe man auch Produkte kleinerer Hersteller.
Fredag schreibt, sie versuche Fette, Geschmacksverstärker, Salz und Zucker durch Kräuter und andere natürliche Zusätze zu ersetzen. Auf der Verpackung weise man zudem auf «die optimale Portion» für eine vollwertige Mahlzeit hin. Einige Produkte seien «klimaneutral zertifiziert».
Hersteller: Das sollten Sie wissen
- Diese Firmen stellen nur vegane Produkte her: New Roots, Oberdiessbach BE Planted, Kemptthal ZH Outlawz Food, Bern Wild Foods, Kiental BE
- Diese Firmen stellen neben veganen Produkten auch Fleischprodukte her: Coop, Basel, vegane Produktelinie: «Délicorn» Fredag, Root LU, «Happy Vegi Butcher» Hilcona, Landquart GR, «The Green Mountain» Iglo, Rorschach SG, «Green Cuisine» Migros, Zürich, «V-Love» Nestlé, Vevey VD, «Garden Gourmet» Unilever, Hamburg (D), «The Vegetarian Butcher»
- Diese Firmen stellen vegane Produkte ohne Palmöl her: Findus, Rorschach SG 1, «Green Cuisine» Fredag, Root LU 1 Hilcona, Landquart GR 1 Outlawz Food, Bern Planted, Kemptthal ZH New Roots, Oberdiessbach BE Wild Foods, Kiental BE
1 Setzen in anderen Produkten Palmöl ein.
Gratis-Merkblatt: «Vegan essen»
Das Merkblatt lässt sich hier herunterladen.