Das französische Fotomodel Isabelle Caro wog nur noch 32 Kilo, als es sich vom Fotografen des Modeunternehmens Benetton ablichten liess. Die Bilder, mit denen die Frau vor den Gefahren der Magersucht warnen wollte, gingen um die Welt. Das war vor zehn Jahren. Isabelle Caro hat die Krankheit nicht überlebt. Mit 28 Jahren starb sie wenig später an den Folgen ihrer Magersucht.
Caro ist ein extremes Beispiel – aber kein Einzelfall. Immer mehr Forscher warnen: Untergewicht ist gefährlich – sogar noch riskanter als Übergewicht. Eine Studie der Universität Glasgow (GB) kam vor kurzem zum Schluss: Untergewichtige haben ein grösseres Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, als Übergewichtige. Die Forscher hatten die Krankenakten von über 300000 Patienten untersucht.
Beispiel: Eine 1,65 Meter grosse Frau mit einem Gewicht von 50 Kilo hat ein um rund 25 Prozent höheres Risiko als eine gleich grosse Frau, die 100 Kilo wiegt. Der Grund: Wer stark untergewichtig ist, hat oft zu wenige Mineralstoffe im Blut. Zudem besteht ein Mangel an Eiweissen und Vitaminen. Das kann dazu führen, dass das Herz schlechter arbeitet und das Blut weniger gut durch die Gefässe strömt. Der Blutdruck sinkt und der Puls wird langsamer. Das kann zu Herzrhythmusstörungen führen und im schlimmsten Fall zu Herzversagen. Weitere mögliche Folgen von Untergewicht: Die Nieren arbeiten nicht mehr richtig und Wunden heilen schlechter.
Zudem bauen sich Muskeln und Knochen ab, weil der Körper zu wenig Nährstoffe bekommt. Auch dies lässt sich am Fall eines Models zeigen, über den die Medien berichteten: Die 18-jährige Französin Victoire Dauxerre ass nur noch drei Äpfel pro Tag und füllte den Bauch literweise mit Cola light. Die Ärzte stellten fest, dass sie das Skelett einer 70-Jährigen hatte: Ihre Knochen waren stark angegriffen.
Fehlende Energie macht anfällig für Infekte
Untergewichtige hätten auch ein geschwächtes Immunsystem, sagt Matthias Bossard, Oberarzt am Kantonsspital Luzern: «Sie sind anfälliger für Infekte, weil der Körper weniger Energiereserven hat.» Schon eine normale Erkältung kann zu gefährlichen Komplikationen führen.
Allerdings: Nicht immer ist eine Essstörung schuld, wenn jemand sehr dünn ist. Oft ist auch eine Krankheit die Ursache – zum Beispiel die Rheumakrankheit Arthritis. Die Gelenke sind dabei chronisch entzündet, der Körper braucht viel Energie, um dagegen anzukämpfen. Matthias Bossard sagt: «Die Patienten verlieren Fett- und Muskelmasse und damit auch Gewicht.»
Das Risiko von Untergewicht steigt im Alter – oft aus simplen Gründen, wie Reinhard Imoberdorf, Chefarzt am Kantonsspital Winterthur ZH, sagt: «Gewisse Nahrungsmittel wie Fleisch kann man im Alter nicht mehr gut schneiden, kauen und schlucken.» Auch lassen Geschmacks- und Geruchssinn nach: Das Essen kommt einem fad vor.
Untergewicht ist bei älteren Menschen deshalb besonders gefährlich, weil ihr Immunsystem ohnehin schwächer ist. Forscher der Universität Padua (I) untersuchten Daten von rund 20000 Altersheimbewohnern. Dabei zeigte sich, dass untergewichtige Senioren viel häufiger an Infektionen starben als normalgewichtige.
Ein Rührei zum Frühstück
Im Alter verändern sich die Bedürfnisse des Körpers. Senioren brauchen zwar insgesamt weniger Energie als Jüngere – im Gegenzug aber mehr Eiweiss. Denn der Körper eines Seniors kann das Eiweiss aus der Nahrung schlechter verwerten. Deshalb bauen sich im Alter oft die Muskeln ab.
Mit einfachen Veränderungen bei den Essgewohnheiten kann man Gegensteuer geben (siehe unten): «Am besten isst man schon zum Frühstück ein Rührei», sagt Claudia Röösli von der Spitex Stadt Luzern.
Auch seelische Nöte können Älteren den Appetit verschlagen. Die Zürcher Ernährungsberaterin Maria Imfeld sagt: «Manche Senioren mögen nicht mehr essen, wenn sie stark belastet sind – zum Beispiel, wenn sie allein leben.» Claudia Röösli empfiehlt deshalb, in Gesellschaft zu essen, etwa an einem Mittagstisch. Fünf bis sechs Mahlzeiten pro Tag sind zudem besser als drei. Und mit einem Esstagebuch kann man kontrollieren, ob man sich ausreichend ernährt.
Bei Patienten mit Magersucht ist die Situation komplexer. Bettina Isenschmid ist Chefärztin am Kompetenzzentrum für Adipositas, Essverhalten und Psyche am Spital Zofingen AG. Sie sagt: «Zunehmen ist oft schwieriger als vermutet.» Oft haben Betroffene eine verzerrte Selbstwahrnehmung und Angst vor dem Zunehmen. Häufig hilft dann nur eine Psychotherapie mit einer Essberatung.