Krankenversicherte müssen Jahr für Jahr höhere Prämien zahlen. Der Bund hat die Aufgabe, Kosten zu sparen: Beim Bundesamt für Gesundheit beschäftigen sich sechs Leute allein damit, Medikamente und Therapien auf ihren Nutzen zu prüfen. Das Budget dafür beträgt 4,5 Millionen Franken. Das Ziel: Krankenkassen sollen nutzlose Mittel nicht mehr zahlen, damit die Prämien sinken. Fakt ist: Diese Abteilung des Bundesamts ist ein zahnloser Papiertiger.
Bisher strich sie kein einziges Medikament aus der Liste von Mitteln, welche die Krankenkasse bezahlt. Sie ist langsam, ineffizient, nicht unabhängig und intransparent. Felix Huber, Präsident des Ärztenetzwerks Medix, kritisiert: «Das Bundesamt für Gesundheit publizierte noch keinen einzigen nennenswerten Bericht.»
Pharmahersteller verzögern Entscheide
Ein Problem: Es dauert viel zu lange, bis die Prüfabteilung entscheidet. Beispiel Eiseninfusionen: Das Bundesamt weiss schon seit 2020, dass der Nutzen dieser Infusion gegen Müdigkeit nicht belegt ist. Krankenkassen könnten jedes Jahr 100 Millionen Franken sparen. Trotzdem strich das Bundesamt die Therapie nicht. Der Grund: eine Beschwerde des Herstellers Vifor, der an den Infusionen weiterhin verdienen will.
Der Basler Gesundheitsökonom Stefan Felder kritisiert: «Es sollte nicht erlaubt sein, dass Zulassungsinhaber solche Entscheide verzögern.» In Deutschland ist das anders. Dort müssen Hersteller beim Gemeinsamen Bundesausschuss ein Dossier zu ihrem Medikament einreichen. Es enthält einen wissenschaftlichen Vergleich ihres Mittels mit einem ähnlichen Medikament, das schon länger erhältlich ist. Der Ausschuss überprüft, ob für Patienten ein zusätzlicher Nutzen besteht.
Auf dieser Basis verhandeln Krankenkassen und Hersteller über den Preis. Bundesausschuss-Sprecherin Ann Marini sagt zur Situation in der Schweiz: «Solche Probleme gibt es bei uns nicht.» Klagen seien in Deutschland nur möglich, wenn die Firmen mit dem Preis ihrer Mittel nicht einverstanden seien.
Ein weiterer kritischer Punkt: Beim Bundesamt für Gesundheit reden Vertreter der Pharmaindustrie mit. Sie dürfen teilweise mehrfach Stellung beziehen. Dabei sollten Gutachten über den Nutzen von Medikamenten und Therapien unabhängig von solchen Interessen verfasst sein. Sie sollten sich ganz auf den Nutzen für Patienten konzentrieren. So steht es auch in einem Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Was die Industrievertreter genau bewirken, ist nicht bekannt – auf der Website des Bundesamts für Gesundheit sind die Berichte nicht zu finden.
Experte Stefan Felder kritisiert: «Dieser Prozess ist nicht transparent.»
Prüfabteilung ist nicht unabhängig
Hinzu kommt: Die Prüfabteilung ist Teil des Bundesamts für Gesundheit – und dieses gibt letztlich die Empfehlungen ab und fällt auch die Entscheide selbst. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats sieht das kritisch: «Es wäre besser, wenn eine unabhängige Stelle die Berichte erstellen würde», sagt zum Beispiel die Urner Ständerätin Heidi Z’graggen. Dies wäre aus ihrer Sicht glaubwürdiger.
Deutschland zeigt auch in dieser Frage, dass es anders geht: Dort erstellt das unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen die Gutachten. Diese liefern die wissenschaftlichen Grundlagen für den Entscheid, welche Massnahmen die Krankenkassen bezahlen müssen. Das deutsche Institut veröffentlichte bisher rund 1500 Berichte und half so mit, das Geld im Gesundheitswesen sinnvoll auszugeben.
Auch die Auswahl der zu prüfenden Therapien steht in der Kritik: Das Schweizer Prüfgremium macht einen grossen Bogen um Behandlungen, die viele Leute betreffen und bei denen man viel Geld sparen könnte.
Zum Beispiel Vitamin-B12-Tests: Im Bericht dazu heisst es, man wisse nicht, welcher Test zum Einsatz kommen solle. Für Medix-Präsident Felix Huber geht dies am Thema vorbei: «Viele Leute glauben, ein Mangel an Vitamin B12 mache müde, deshalb sind die Tests so beliebt.» Das Bundesamt für Gesundheit solle besser öffentlich darauf hinweisen, dass ein B12-Mangel nicht müde mache und die Tests überflüssig seien. Weitere Berichte widmen sich seltenen Augenkrankheiten.
Für Felix Huber wären aber andere Therapien prüfenswerter, zum Beispiel starke Schlaf- und Beruhigungsmittel (Benzodiazepine), die süchtig machen können, die Mammografie zur Früherkennung von Brustkrebs oder das Verschreiben von Ritalin bei Jugendlichen mit ADHS. Das Bundesamt für Gesundheit schreibt, die Prüfverfahren für Therapien hätten bereits zu Einschränkungen bei Vergütungen geführt.
Es bestätigt, dass Hersteller von Medikamenten die Verfahren «massiv verzögern» können. Berichte zu solchen Verfahren würden von externen, unabhängigen Auftragnehmern erstellt.
Der Prozess sei transparent, die Beratungen der ausserparlamentarischen Kommissionen seien aber vertraulich. Für Vergütungsentscheide ist laut Bundesamt das Departement des Innern zuständig. Die Firma Vifor schreibt, Eiseninfusionen seien effizient und wichtig. Die Prüfverfahren dürften die medizinische Versorgung von Patienten nicht verschlechtern.
Aufruf: Machten Sie Therapien, die nicht wirkten?
Schreiben Sie uns: Redaktion Gesundheitstipp, «Therapien», Postfach, 8024 Zürich, redaktion@gesundheitstipp.ch