Kürzlich stellte das Swiss Medical Board (SMB) seine Arbeit ein. Der Verein hatte seit 2009 überprüft, welche medizinischen Leistungen tatsächlich nützen. Ziel: Krankenkassen sollen keine unwirksamen Operationen, Therapien oder Medikamente mehr zahlen müssen. Das soll die Gesundheitskosten und damit die Prämien senken. Fachleute wie Mario Fasshauer von der Patientenstelle Zürich bedauern das Ende des SMB: «Es war eine etablierte Institution, deren Arbeit anerkannt war.» Letztlich konnte sich der Verein nicht mehr finanzieren. Es fanden sich keine Geldgeber, die die kostenpflichtigen Berichte in Auftrag gaben.
Erstaunlich: Weder der Krankenkassenverband Santésuisse noch der Bund hatten Interesse, die Institution zu unterstützen. Mehr noch: Das Bundesamt für Gesundheit verweigerte dem SMB nicht nur den finanziellen Rückhalt, sondern gründete 2017 sogar eine eigene Abteilung, die Gutachten erstellt. Die Eingabe einer Frage ist dort gratis, denn die Kosten trägt der Steuerzahler. Der ehemalige SMB-Präsident Daniel Scheidegger sieht darin eine direkte Konkurrenz: «Warum sollte man bei uns einen kostenpflichtigen Bericht bestellen, wenn man ihn beim Bundesamt gratis bekommt.» Auch eine Zu-sammenarbeit mit dem Amt sei nicht zustande gekommen.
Doch die Abteilung beim Bundesamt für Gesundheit ist umstritten. Ein Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle kam vor zwei Jahren zu einem vernichtenden Urteil: Die Abteilung habe nur halb so viele Therapien begutachtet wie geplant. Zudem dauere der Prozess bis zu vier Jahre lang («Saldo» 10/2022). Bisher hat die Abteilung gerade einmal 38 Berichte bearbeitet – 15 davon waren Anfang Mai nicht abgeschlossen. Dabei verfügt die Abteilung über ein Jahresbudget von rund fünf Millionen Franken.
Auch die Auswahl der zu prüfenden Therapien steht in der Kritik. Mario Fasshauer sagt: «Die bearbeiteten Fragen sind sehr spezifisch und nur für wenige Personen interessant.» In einem Bericht ging es etwa um eine Strahlentherapie für eine seltene Hornhautveränderung. Die Krankheit trifft vor allem Patienten mit Trisomie 21 und gewissen Hautkrankheiten. Auch Felix Huber, Präsident des Ärztenetzes Medix, kommentierte Anfang Jahr in der «Schweizerischen Ärztezeitung»: «Seit fünf Jahren ist kein einziger nennenswerter Bericht publiziert worden. Bilanz: gescheitert.»
Ebenfalls fraglich: Die Pharmaindustrie redet bei den Berichten mit. Hersteller dürfen teilweise mehrfach Stellung beziehen. Die Finanzkontrolle bemängelt: So könnten sie die Resultate verwässern und Einsparungen verzögern.
Hinzu kommt: Der Bund zeigt wenig Interesse, die Erkenntnisse umzusetzen. Zwar berechneten Fachleute, dass man in der Schweiz jährlich 220 Millionen Franken an unnützen Therapien einsparen könnte. Davon habe man aber «nichts realisiert», so der Finanzbericht. Ein Beispiel: Schon seit drei Jahren liegt ein Gutachten vor, nach dem Schweizer Chirurgen den Meniskus zu oft operieren. Beim Eingriff, einer sogenannten Kniearthroskopie, werden zwei kleine Schnitte am Knie gemacht. Allerdings bringt das keinen Vorteil gegenüber Medikamenten, Training und Physiotherapie. In Deutschland ist die Kniearthroskopie längst aus dem Leistungskatalog gestrichen, in der Schweiz nicht.
Auch das SMB kämpfte, damit seine Berichte Beachtung fanden. In seiner letzten Bilanz stellt der Verein ernüchtert fest: Kein einziger seiner Berichte habe dazu geführt, dass nachweislich unnütze Leistungen gestrichen wurden. Dies habe das Ende des SMB beschleunigt. Präsident Scheidegger sagt: «Die Behörde war nicht an unseren Berichten interessiert.»
Unabhängigkeit scheint dem Bund nicht wichtig
Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle kritisiert, dass es keine unabhängige Prüfstelle mehr gibt: «Offenbar sind die Schweizer Behörden nicht bereit, dafür zu kämpfen.» Anders ist es in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Kanada. Dort erstellen unabhängige Institute die Gutachten, ihr Auftrag ist teilweise gesetzlich verankert. Ein Beispiel: das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Es hat bereits über 1000 Berichte veröffentlicht, deren Ergebnisse regelmässig zu Einsparungen führen.
Die Behörden fördern das Institut, Grundlage dazu ist auch ein Gesetz von 2011. Es besagt, dass ein neues Medikament, das keinen Zusatznutzen hat, nicht teurer sein darf als das bisherige Standardmittel. Allein so sparen Krankenkassen jährlich 4 Milliarden Franken.
Unabhängigkeit ist unabdingbar
Der Gesundheitstipp stützt sich in seinen Artikeln auf die evidenzbasierte Medizin. Das ist vor allem dann unerlässlich, wenn es um Therapien, Operationen und Medikamente geht, die die Grundversicherung der Krankenkassen und damit die Allgemeinheit bezahlen muss.
Grundlage der medizinischen Evidenz sind unabhängig durchgeführte Studien von hoher Qualität und keine Einzelberichte von Ärzten. Wichtige Quellen sind die Analysen von Organisationen wie dem nun eingestellten Swiss Medical Board (SMB), dem deutschen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder dem internationalen Forschernetzwerk Cochrane Collaboration. Sie prüfen den Nutzen von Therapien, Medikamenten oder Vorsorgetests aufgrund von Studien – ohne den Einfluss von Pharmaindustrie, Spitälern oder Ärztevereinigungen.
Diese 20 Erkenntnisse verdanken wir unabhängigen Prüfstellen
Nutzen belegt:
- Ausdauer- und Kraftsport gegen Rückenschmerzen (Cochrane)
- Intervallfasten zum Abnehmen (Cochrane)
- Kompressionsstrümpfe gegen geschwollene Beine (IQWiG)
- MRT zum Abklären von Herzkrankheiten (IQWiG)
- Elektrische Zahnbürsten gegen Plaque (Cochrane)
- E-Zigarette zur Rauchentwöhnung (Cochrane)
- Akupunktur gegen Migräne (Cochrane)
- Lichttherapie gegen Winterdepression (IQWiG)
- Honig gegen Hustenreiz (Cochrane)
- Cranberrys gegen Blasenentzündung (IQWiG)
Nutzen nicht belegt:
- Vitamin-D-Messung bei über 50-Jährigen (IQWiG)
- PSA-Test zum Früherkennen von Prostatakrebs (SMB, IQWiG)
- Schulteroperation bei Sehnenschaden (SMB)
- Knieoperation nach Kreuzbandriss (SMB, Cochrane)
- Operation nach Bandscheibenvorfall (SMB)
- Mammografie-Massentests zur Brustkrebsvorsorge (SMB)
- Antidepressiva gegen Depressionen (Cochrane)
- Ginseng gegen Erektionsprobleme (Cochrane)
- Cholesterinsenker (Statine) für gesunde Patienten (SMB)
- Medikament Xofluza gegen Grippe (IQWiG)