Segelhafen Tiefenbrunnen in Zürich, ein windiger Tag im Juni. Die Hafenfahne flattert waagrecht, das Metallseil schlägt immer wieder an die Fahnenstange. Wellen bilden bereits leichte Gischt. Ein Holzsteg führt in den Zürichsee hinaus. Am Ende liegt ein kleines Segelboot im Wasser, es schaukelt unruhig. Lucien Preuss hält es am Mast fest. Dann steigt seine Frau Lindy vorsichtig ins Boot, ordnet die Leinen und versenkt das Schwert durch einen schmalen Schlitz im Rumpf ins Wasser. Es soll das Boot stabilisieren. Schliesslich zieht sie an einem Tau das grosse Segel den Mast hoch, es flattert unruhig. Jetzt steigt auch Lucien Preuss ein. Er stösst ab, der Wind erfasst sofort das Boot. Es entfernt sich rasch vom Ufer. Das Ungewöhnliche: Lucien ist 89 Jahre alt, Lindy 82. Und noch immer segeln sie ihre kleine schnelle Fireball-Jolle, kaum grösser als eine Nussschale. Viele haben nach der Pensionierung den Traum von Segeln, von der Freiheit auf dem Wasser. Doch Jollensegeln ist nicht so leicht, wie es beim Ehepaar Preuss aussieht.
Manuel Tièche vom Bundesamt für Sport bildet auf dem Bielersee Sportstudenten im Segeln aus. Er sagt: «Senioren sollten sich das gut überlegen.» Denn, so Tièche: «Wer auf einer Jolle segeln lernen möchte, muss körperlich fit sein.» Man dürfe nicht übergewichtig sein, «sonst passt man nicht mehr in den Neopren-Anzug, der die Segler bei kaltem Wasser schützt». Segler müssten zudem gute Schwimmer sein und eine Grundkondition mitbringen.
Kritisch kann es werden, wenn der Wind auffrischt. Sportwissenschafter Fabian Neunstöcklin betreut Segelmannschaften beim Training. Er sagt: «Jolle-Segeln ist anspruchsvoll. Es braucht eine hohe Koordinationsfähigkeit.» Wind und Wasser muss man immer im Auge behalten, Segelstellung und Schoten kontrollieren und korrigieren. Bei starken Winden muss man blitzschnell reagieren können, damit die leichte Jolle nicht kentert. Oft sind die Winde auf den Binnenseen unregelmässig, böig und wechseln immer wieder die Richtung.
Das Ehepaar Preuss war Schweizer Meister
Lindy und Lucien Preuss sind ein eingespieltes Team. Früher waren sie Schweizer Meister und nahmen gar an Weltmeisterschaften teil. Lindy Preuss sagt: «Wir wissen immer, wie der andere reagiert.»
Bei starken Winden ist der Körper gefordert. Beide Segler müssen hinauslehnen, um das Boot zu stabilisieren. Neunstöcklin: «Die Muskeln an Bauch und Oberschenkeln arbeiten dann hart.» Wenn das Boot kentert, muss man es wieder aufrichten können. Auch dazu braucht man Geschicklichkeit und Kraft. Das Ehepaar Preuss kennt auch das. Ihr Rekord: zwölfmal gekentert während einer Regatta auf dem Mittelmeer. Heute wissen sie: Wenn sie kentern, können sie das Boot wahrscheinlich nicht mehr aufrichten. Lindy Preuss sagt deshalb: «Wir gehen nur noch bei schwachen bis mittelstarken Winden auf den See.»
Senioren sollten mit grösseren Booten segeln
Für ältere Leute ist das Segeln mit den grösseren Jachten besser geeignet. Die Boote haben einen Kiel mit Ballast unter dem Rumpf, der stabilisiert. Sie können deshalb kaum kentern. Man sitzt bequem, ein kleiner Motor hilft bei Flauten. Manuel Tièche: «Die Segler sind auf der sicheren Seite.» Zudem segelt man oft in grösseren Teams. Man hilft sich gegenseitig, zum Beispiel, wenn man mitten auf dem See die Segel bergen muss, weil ein Gewittersturm aufkommt. Auch muss man nicht zwangsläufig topfit sein. Tièche: «Jachten segeln kann man bis ins hohe Alter.» Auch ein Bypass oder Arthrose sind kein Hindernis.
Allerdings braucht es für Jachten einen Segelschein. Denn wer mit einem Schiff segeln möchte, das mehr als 15 Quadratmeter Segelfläche hat, muss eine Prüfung ablegen. Das ist bei praktisch allen Jachten der Fall (siehe Tabelle im PDF).
Mit einer Jacht segeln muss heute auch nicht mehr teuer sein. Viele Jachtbesitzer bieten auf ihren Booten Segelbeteiligungen an, um die Kosten zu reduzieren. Zudem hat die Genossenschaft Sailcom mit Sitz in Zürich rund 70 unterschiedliche Jachten auf praktisch allen Schweizer Seen. Mitglieder zahlen neben dem Genossenschaftsbeitrag eine Mietgebühr pro Stunde. Sailbox, eine vergleichbare Organisation aus Zürich, hat 28 Boote.
Das Umsteigen auf eine Jacht war für das Ehepaar Preuss allerdings nie ein Thema. Zwar sind sie schon 39 Mal auf grossen Jachten über die Meere gesegelt. Aber auf dem Zürichsee? Die meisten Jachten seien doch zu gross und zu behäbig für den kleinen See, brummelt Lucien Preuss: «Das wäre mir zu langweilig.»