Seit sich ihre Eltern getrennt haben, pendeln der 12-jährige Nils und die 14-jährige Jana alle paar Tage zwischen den Wohnungen ihrer Mutter Franziska Moser und ihres Vaters Heinz Biedermann in Zuchwil SO. Im Durchschnitt verbringen die Kinder bei beiden gleich viel Zeit. Die Abwechslung gefällt Nils: «Mit dem Vater gehen wir manchmal Ski fahren. Beim Mami nehmen wir es eher gemütlich.» Zwar müssen sich die Kinder Mühe geben, stets daran zu denken, dass sie alles Nötige von einem Ort zum anderen mitnehmen. Für Jana kein Problem: «Wenn ich mal ein Schulbuch beim Papi oder beim Mami vergesse, hole ich es schnell. Mit dem Velo bin ich in 5 Minuten dort.»
Biedermann findet es wichtig, dass er mit seinen Kindern auch den Alltag erlebt. Er macht mit ihnen den Haushalt, hilft bei den Aufgaben, spielt mit ihnen, geht falls nötig mit zum Arzt. Damit er Zeit dafür hat, arbeitet er Teilzeit. «Wenn ich meine Kinder nur noch am Wochenende sehen würde», so Biedermann, «wäre ich nur noch ein Papi für Sonntagsausflüge.»
Franziska Moser und Heinz Biedermann ziehen ihr Betreuungsschema nicht stur durch – sie haben es den Bedürfnissen ihrer Kinder angepasst. Ihr ältester Sohn, der 17-jährige Jan, wohnt vorwiegend beim Vater und besucht seine Mutter nur noch jedes zweite Wochenende. «Wir haben gemerkt, dass das für Jan zurzeit am besten ist», sagt Franziska Moser. Er brauche jetzt die Autorität des Vaters.
Gemeinsame Betreuung: In der Schweiz selten
Wissenschafter sind sich einig: Sehen Kinder beide Eltern gleich oft, geht es ihnen besser als solchen, die vorwiegend bei einem Elternteil leben. Letztes Jahr belegte eine schwedische Studie: Wenn Kinder zu Vater und Mutter gleich intensiven Kontakt haben, sind sie körperlich und seelisch gesünder. Sie können die Trennung ihrer Eltern besser verarbeiten. Hingegen leiden Kinder, die nur mit einem Elternteil leben, häufiger unter Depressionen und anderen seelischen Problemen. Die Forscher werteten Fragebögen von rund 160 000 Kindern von 12 bis 15 aus. Norwegische Forscher fanden zudem vor acht Jahren heraus, dass Kinder, die von beiden Eltern betreut werden, weniger oft Drogen konsumieren und ein besseres Selbstwertgefühl haben.
Doch in der Schweiz ist eine gemeinsame Betreuung selten. Eine Erhebung des Bundesamts für Statistik zeigte 2012, dass nach der Trennung neun von zehn Müttern für die Kinder zuständig sind. Dafür gibts verschiedene Gründe. Einer davon: Nur wenige Väter arbeiten Teilzeit. Und die Luzerner Sozialforscherin Margret Bürgisser erklärt: «Das Pendeln kann vor allem für kleinere Kinder und bei grösseren Distanzen anstrengend sein.» Wenn nicht beide Eltern genügend grosse Wohnungen und viel Zeit für die Kinder haben, sei das «klassische Schema» mit Besuchen am Wochenende eventuell besser, sagt Bürgisser.
«Für die Kinder ist eine Ruhe-Insel wichtig»
So macht es Thomas Weihler aus Kölliken AG: Er betreut seine beiden Söhne Pascal, 12, und Rafael, 15, jedes zweite Wochenende. Sie verbringen zudem pro Jahr zwei bis drei Wochen Ferien bei ihm. Als seine Kinder kleiner waren, betreute er sie auch unter der Woche, jeweils am Dienstag.
Nach der Scheidung sei das aber nicht mehr möglich gewesen, so Weihler. Der Grund: Die Gerichte entschieden früher in der Regel, dass die Kinder bei der Mutter wohnen sollten. Heute verunmögliche ihm sein Arbeitspensum, seine Söhne unter der Woche zu betreuen.
Bettina Tiedtke, die Mutter von Pascal und Rafael, ist überzeugt, dass es für ihre Söhne besser ist, dass sie die meiste Zeit bei ihr in Suhr AG wohnen. «Kinder müssen zu Hause eine Ruhe-Insel haben, wo sie sich geborgen fühlen», sagt sie. «Das bringt ihnen das Urvertrauen, das für soziale Bindungen wichtig ist.» Der häufige Wechsel zwischen zwei Wohnungen würde zu viel Unruhe in das Leben der Kinder bringen.
Auch Rafael findet es gut, dass er bei seiner Mutter wohnt – vor allem, weil so seine Wege zum Schulhaus und zum Handballtraining kürzer sind. «Wenn ich nach dem Training zu meinem Vater fahren würde, wäre ich erst spät abends daheim», sagt der 15-Jährige. Problematisch: Separate Wohnung für die Kinder Kurt Schär (Name geändert) wollte seinen Kindern das Hin- und Herpendeln ersparen. Deshalb hat er sich vor drei Jahren für eine originelle Lösung entschieden – das Nestmodell: Seine drei Kinder, die 13 bis 17 Jahre alt sind, leben weder bei ihm noch bei seiner Ex-Frau, sondern in einer eigenen Wohnung. Die erste Wochenhälfte verbringt Schär mit den Kindern in dieser Wohnung. Von Mittwoch bis Freitag wohnt die Mutter der Kinder dort, und am Wochenende wechseln sich die Eltern ab.
«Wir haben uns für dieses Modell entschieden, weil die Kinder im Haus bleiben wollten, in dem wir vor der Trennung gelebt hatten», sagt Schär. Doch im Mai lösen die Eltern den Kinderhaushalt auf. «Die Kinder neigten dazu, die Wohnung zu übernehmen. Ich geriet in die Rolle eines Gastes.» Als Schär eine neue Partnerin fand, wollte eines der Kinder bestimmen, wann sie in die Wohnung kommen darf. Das ging für Schär zu weit. Deshalb werden die Kinder künftig abwechselnd bei ihm und bei seiner Ex-Frau wohnen.
Psychologe Marco Hüttenmoser aus Muri AG ist nicht erstaunt, dass Schär schlechte Erfahrungen gemacht hat. Hüttenmoser findet es zwar gut, wenn Kinder in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Doch in einer eigenen Wohnung erhalten sie laut Hüttenmoser quasi die Rolle von Hausherren: «Das überfordert die Kinder.» Wichtig für deren Wohlergehen ist laut Fachleuten auch, dass Eltern nicht streiten. Mediator Max Peter aus Bülach sagt: «Kinder wünschen sich einen unbeschwerten Wechsel.» Dazu gehöre, dass sie spontan den abwesenden Elternteil anrufen können, um ihm von einem besonderen Erlebnis zu berichten oder Hilfe bei Schulaufgaben zu holen.
Tipps: So geht es Kindern nach der Trennung der Eltern am besten
- Sprechen Sie vor den Kindern nie schlecht über den abwesenden Elternteil.
- Schauen Sie, dass Ihr Kind nicht immer «zügeln» muss. Schaffen Sie in beiden Wohnungen Kleider, Spielwaren, Outdoor-Sachen usw. an.
- Richten Sie in beiden Wohnungen Kinderzimmer ein.
- Es ist ideal, wenn beide Elternteile nicht weit voneinander entfernt wohnen.
- Kinder sollten Freunde und Sportvereine nicht wechseln müssen.
- Sagen Sie Kindern rechtzeitig, an welchen Wochentagen sie beim Vater oder bei der Mutter sein werden.
Weitere Infos:
- Beratung für Kinder und Eltern in Trennung, Marie Meierhofer Institut für das Kind, Tel. 044 205 52 20
- Eltern Club Schweiz, Tel. 058 261 61 61
- Schweizerischer Verband alleinerziehender Mütter und Väter, Tel. 031 351 77 71