Schizophrenie-Kranke sind oft mühsame Patienten. Sie sind verwirrt, fühlen sich meist nicht krank und verweigern dem Arzt die Zusammenarbeit. Viele möchten deshalb auch die starken Medikamente gegen Wahnvorstellungen gar nicht nehmen. Denn die haben zum Teil happige Nebenwirkungen.
Die Industrie hat nun Medikamente entwickelt, deren Wirkung einen Monat lang anhält: sogenannte Depot-Medikamente. Eines davon ist Xeplion, das in der Schweiz seit rund einem Jahr zugelassen ist. Ärzte spritzen es Patienten in den Gesässmuskel. Dieser gibt den Wirkstoff langsam in die Blutbahnen ab.
Doch das kann fatale Folgen haben: In Japan sind über 20 Patienten nach der Behandlung mit Xeplion gestorben. Sie hatten laut der Nachrichtenagentur AFP einen Herzinfarkt oder eine Lungenembolie. Fachleute zeigen sich besorgt. Psychiater Thomas Ihde-Scholl, Stiftungsratspräsident von Pro Mente Sana, sagt zum Beispiel: «Die Zahlen aus Japan sind alarmierend.» Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber der «Pharmakritik», vermutet, das Medikament habe zum tödlichen Kammerflimmern geführt. Das sei eine bekannte Nebenwirkung solcher Medikamente. Das Fatale: Haben sich die Patienten das Medikament einmal gespritzt, können sie es gar nicht mehr absetzen. Ihde-Scholl: «Die Entscheidung hat langfristige Konsequenzen.»
Hersteller Janssen-Cilag bestreitet, dass sein Medikament Schuld ist an den Todesfällen: In Japan seien nicht mehr Patienten gestorben, als wenn sie keine solchen Medikamente gespritzt bekommen hätten. Es bestehe deshalb kein Bedarf für neue Sicherheitshinweise an die Ärzte. Die Schweizer Heilmittelbehörde Swissmedic überprüft, ob weitere Massnahmen nötig sind.
Todesfälle auch mit andern Depot-Formen
Doch für Fachleute ist klar: Solche Depot-Medikamente sind für Schizophrenie-Patienten ein Risiko. Es sei nicht das erste Mal, so Psychiater Ihde-Scholl, dass ein solches Medikament zu Problemen führe. Beispiel Zypadhera, eine Depot-Form des Medikaments Zyprexa: Letztes Jahr berichtete die US-Arzneimittelbehörde von zwei Patienten, die nach der Spritze gestorben seien. Seit der Markteinführung gab es allein in den USA 82 Todesfälle.
Vor fünf Jahren kam das deutsche Fachblatt «Arznei-Telegramm» zum Schluss, das Medikament sei schlecht zu steuern und führe zu schweren Sedierungen und Koma-Attacken. Hersteller Eli Lilly sagt dazu, Arzt und Patient würden Vor- und Nachteile abwägen, um eine fortaufende Behandlung zu gewährleisten und Rückfälle zu vermeiden. Sedierung und Komaattacken seien bekannte Nebenwirkungen, würden aber bei weniger als einem pro tausend Patienten nach der Spritze auftreten. Nach einem bis drei Tagen würden die Nebenwirkungen abklingen.
Kein Wunder, stossen Depot-Medikamente bei Patienten auf schlechte Akzeptanz, nicht nur wegen der Nebenwirkungen. Wulf Rössler, Professor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, sagt: «Die Patienten fühlen sich kontrolliert.» Es seien eher Angehörige, die eine solche Spritze befürworten, weil man so ausschliessen könne, der Patient nehme das Medikament nicht. Rössler sagt, er verschreibe keine solchen Mittel: «Ich möchte meine Patienten begleiten und nicht kontrollieren.»
Laut Ihde-Scholl kommt ein weiterer Punkt hinzu: Patienten sind während der akuten Krankheit gar nicht fähig, den Entscheid für ein solches Medikament zu fällen. Daher müsse man auch sicherstellen, dass die Behandlung nicht auf Druck von aussen passiere.
Depot-Medikamente wie Xeplion oder Zypadhera gibt es auch als Tabletten zum Schlucken. Doch auch in dieser Form sind sie ein Risiko für die Schizophreniepatienten. Zwar senken sie das Risiko für einen Schizophrenierückfall. Doch das erkauft sich der Patient durch beträchtliche Nebenwirkungen in seinem Alltag, wie zum Beispiel Müdigkeit, massive Gewichtszunahme oder Veränderungen im Blut. Etzel Gysling: «Verschiedene Studien haben immer wieder bestätigt, dass mit diesen Medikamenten behandelte Personen ein erhöhtes Sterberisiko haben.»
Fachleute aus skandinavischen Ländern haben deshalb begonnen, die Medikamente gezielter zu verschreiben. Der Therapieansatz ist noch neu. Ihde-Scholl: «In diesem Modell verschreiben Ärzte die Medikamente seltener, in tieferer Dosis und mit kürzerer Behandlungsdauer.» Mit dieser Methode sei es gelungen, dass Menschen vermehrt im Arbeitsprozess bleiben können. Auch geht man so einem weiteren Problem aus dem Weg, so Ihde-Scholl: «Ein Absetzen solcher Medikamente nach einer mehrjährigen Behandlung gestaltet sich sehr schwierig.»