Seziersaal des Instituts für Rechtsmedizin in Basel: Es ist kalt, das Licht grell. Und es riecht nach feuchtem Keller, Lösungsmittel und Blut. Die Seziertische sind nass gespritzt. Gereinigte Pinzetten, Skalpelle, Scheren und eine Säge liegen griffbereit. In einem Glas befinden sich blutige Spritzen, gebrauchte Skalpelle und Operationsfäden.
Rechtsmediziner untersuchen hier Körper von Menschen, die unter unklaren Umständen starben. Der Präparator Thomas Rost bereitet die Körper für sie vor. Er schneidet sie auf und entnimmt Organe. Er fotografiert die leblosen Körper, macht Nahaufnahmen von blauen Flecken und Einschusslöchern.
Rost trägt einen weissen Kittel. Er ist gross, sein Gesicht kantig. Der 51-Jährige hat schon über 12000 Leichen gesehen.
Herr Rost, fühlen Sie noch etwas, wenn Sie eine Leiche sehen?
Ja, Neugier. Ich möchte wissen, wie die Person gestorben ist.
Sonst nichts?
Wenn Kinder und Babys auf dem Seziertisch liegen, geht mir das nahe. Ich bin Vater von drei Kindern.
Wie behalten Sie einen klaren Kopf?
Ich rede mir jeweils ein, dass die Babys noch nicht lange gelebt haben. Bei grösseren Kindern funktioniert das allerdings nicht gut. Ein Beispiel: Ein Bub war von einem Lastwagen überfahren worden. In seiner Hosentasche hatte er Spielzeugautos. Ich musste sie nachher aus seinem Körper klauben. Diese Arbeit war nicht einfach für mich.
Wie gingen Sie vor?
Ich blendete das Schicksal des Jungen aus und konzentrierte mich auf meine Arbeit.
Was genau machen Sie?
Ich nehme die Leiche entgegen, bereite die Obduktion vor, assistiere
den Rechtsmedizinern beim Sezieren, fotografiere die wichtigsten Befunde und verschliesse die Leiche.
Rost führt die Journalistin durch das Institut. Draussen vor einer Einfahrt zündet er eine Zigarette an. Er ist im Redefluss, spricht darüber, wie wichtig gute Fotos sind. Die Zigarette brennt fast von allein ab. Nebenan führt eine Tür zum Kühlraum. Mit Schwung öffnet er die Tür. Er hält inne und schaut die Journalistin prüfend an. Auf Bahren liegen zwei Leichen. Unter Tüchern lugen ihre blassen Füsse hervor.
Gibt es Fälle, die Sie nicht loslassen?
An meinen ersten Tatort kann ich mich noch gut erinnern. In einer Wohnung kam eine sozial randständige Person durch Schläge, Fusstritte und Messerstiche ums Leben. Der Geruch von Alkohol, frischem Blut und Schweiss lag in der Luft. Eine irritierende Geruchsmischung, die ich nie vergessen werde. In einem anderen Fall erschoss ein Mann mit einem Gewehr seine Frau, seine Schwiegermutter und sich selbst. Wir mussten auf Knochensplitter treten, um in die Wohnung zu kommen. Das war kein schöner Anblick.
Hatten Sie jemals Zweifel
an Ihrem Beruf?
Ja, die hatte ich. Ein Mann vergewaltigte eine junge Autostopperin und ermordete sie bestialisch. Die Tat geschah in der Nähe meines damaligen Wohnorts in Deutschland. Ich stellte mir vor, was das Mädchen erlitten haben musste. Ich wusste sofort, wenn ich solche Fälle nicht verdrängen kann, muss ich meinen Beruf wechseln. Glücklicherweise ging es mir am nächsten Tag wieder besser.
Rosts Büro liegt im Untergeschoss. Tageslicht gibt es kaum. Ein Tisch, Stühle, in der Ecke flimmert ein Computerbildschirm. Rost hält demnächst an einer Fachtagung einen Vortrag über die forensische Fotografie. Das ist sein Spezialgebiet. Er hat eine Präsentation vorbereitet: Es sind Bilder von arg zugerichteten Körpern und durch Kopfschüsse entstellten Gesichtern.
Wie erklären Sie Ihren Kindern Ihren Beruf?
Bis jetzt habe ich ihn nicht gross erklärt. Aber wenn ich meiner Frau sage, dass ich mit einem schwierigen Fall beschäftigt war, verwende ich durchaus Begriffe wie Verstorbene oder scharfes Werkzeug. Ich verklausuliere sie nicht für meine Kinder. Ich habe nun mal diesen Beruf.
Zahlen Sie einen Preis dafür?
Nein. Der Beruf gibt mir mehr, als er mich kostet. Ich trage dazu bei, Delikte aufzuklären. Er ist für mich eine Berufung. Aber er ist nicht für jedermann geeignet. Tatjana Jaun
Zur Person: Thomas Rost
Der gebürtige Deutsche Thomas Rost ist seit dem Jahr 2011 leitender Präparator am Institut für Rechtsmedizin der Universität Basel. Der 51-Jährige ist verheiratet und hat drei Kinder. Zu seinen Hobbys zählt die Fotografie.