Bei jedem Fehltritt kann ich mir ein Bein brechen. Deshalb ist jede Treppe, jedes Trottoir und jeder Einstieg in den Bus gefährlich. Ich bewege mich vorsichtig und gehe meistens an Stöcken. Ich muss auch besonders aufpassen, dass ich nicht stürze. Denn es dauert viel länger als früher, bis ein Bruch verheilt.
Vor fünf Jahren passierte mir das in Italien. Ich stieg aus einem Zug. Die Stufe zum Perron war sehr hoch. Deshalb verlor ich das Gleichgewicht, stürzte und brach mir einen Oberschenkel. Es dauerte Monate, bis ich keine Schmerzen mehr hatte. Der Knochenbruch wollte nicht heilen und musste zwei Mal operiert werden.
Meine Kindheit war geprägt von Beinbrüchen und monatelangen Spitalaufenthalten. 23 Mal brachen meine Beine. Das erste Mal passierte es bei der Geburt. Als Kleinkind geschah es einmal, als ich stark husten musste. Wegen der Brüche bin ich nur 144 cm gross geworden.
Meine Knochen sind nicht nur brüchig, sondern auch stark verformt. Deswegen benötigte ich bereits als Kind einen Rollstuhl. Erst in der Pubertät lernte ich das Gehen – ich wollte frei sein. Aber meine körperlichen Möglichkeiten sind begrenzt. Ich konnte nie richtig tanzen und hatte keinen Freund wie viele andere Mädchen. Ich fühlte mich oft allein.
Eine spätere Beziehung ging zu Ende, weil ich keine Kinder wollte. Meine Krankheit ist erblich, ich wollte das Risiko nicht eingehen, ein Kind mit Glasknochen zu haben. Ich hätte es nicht versorgen können.
Nun bin ich aber seit 30 Jahren glücklich verheiratet. Mein Mann unterstützt mich sehr. Zum Beispiel geht er meistens einkaufen. Für mich ist es sehr umständlich: Ich gehe an Stöcken und kann kaum den Einkaufswagen schieben. Bei der Kasse alles aufs Band legen, zahlen und dann in den Rucksack einpacken – das dauert ewig. Ich habe zwar gelernt, Hilfe anzunehmen. Aber es fällt mir nicht immer leicht.
Zu Hause brauche ich oft den Rollstuhl. Denn mein Gleichgewichtssinn ist schlecht und ich schwanke so stark beim Gehen, dass ich nicht einmal eine Tasse herumtragen könnte. Waschen und Putzen sind für mich kaum möglich. Mein Mann und eine Putzfrau erledigen das.
Ich bin froh, dass ich einen Beruf habe, der mich erfüllt. Ich studierte Medizin und stieg beim Bundesamt für Gesundheit bei der Aidsprävention ein. Jetzt bin ich pensioniert, engagiere mich aber in Vereinigungen noch immer für Patienten und Behinderte.
Wasser und Wärme sind meine besten Therapien. Deswegen gehe ich in die Wassergymnastik der Rheumaliga. Weil ich so klein bin, ragt mein Kopf nur ganz knapp aus dem Wasser. Das sind Momente, in denen mir bewusst wird, dass ich anders bin. Ich gehe trotzdem hin, weil mir Bewegung im warmen Wasser gut tut. Am schönsten ist das jeweils in den Ferien mit meinem Mann. Wir lieben es, ans Meer zu verreisen.
Die Knochen haben zu wenig Halt
Bei der Glasknochenkrankheit brechen die Knochen besonders schnell. Betroffene stellen nicht genug und nur minderwertiges Kollagen her. Dadurch haben die Knochen zu wenig Halt, verformen sich und brechen bei geringster Belastung. In der Schweiz leiden rund 400 Personen an der erblichen Krankheit. Gymnastik und Schwimmen sind wichtig, um eine stützende Muskulatur aufzubauen.
Info
Schweizerische Vereinigung Osteogenesis Imperfecta,
Leutschenbachstr. 45,
8050 Zürich
Tel. 043 300 97 60
E-Mail: geschaeftsstelle@glasknochen.ch