Die Nächte von Otto Schweizer (75) aus Wilen bei Wollerau SZ waren lange Zeit turbulent: Mehrmals pro Woche stand er in der Nacht auf und wandelte durch die Wohnung. Er räumte im Wohnzimmer Bücher aus dem Regal oder hängte Bilder ab. Am nächsten Morgen wachte er auf und konnte sich an nichts erinnern. Er ging dabei so leise vor, dass seine Frau Ida neben ihm meist gar nicht aufwachte. Sie sagt: «Ich sah erst am Morgen, dass er nachts unterwegs gewesen war, weil alles durcheinander war.»
Schlafwandler geistern meist in der ersten Nachthälfte herum. Ihr Problem: Ein Teil des Gehirns wacht auf, ein anderer Teil bleibt im Tiefschlaf. Der Arzt Christian Neumann, Leiter des Schlaflabors Fluntern in Zürich, sagt: «Je nachdem, welcher Teil des Gehirns wach ist, können Betroffene komplexe Tätigkeiten ausführen.»
Beim Schlafwandeln die Schwiegermutter getötet
Bekannt sind extreme Fälle von Schlafwandlern, die im Schlaf Auto fuhren oder gar Morde begingen. So etwa der kanadische Student Kenneth Parks. 1987 fuhr er mitten in der Nacht 23 Kilometer weit zu seinen Schwiegereltern. Mit einer Eisenstange betrat er ihr Haus und verletzte den Schwiegervater schwer. Die Schwiegermutter floh, wurde aber von Parks eingeholt und mit einem Messer erstochen. Als er wieder im Auto sass, erwachte Parks und ging zur Polizei: Er ahnte, dass etwas Schreckliches passiert war. Später stellten Gutachter fest, dass er zur Tatzeit im Schlaf gewandelt hatte und daher nicht zurechnungsfähig war. Er kam frei.
Schlafwandler leben riskant. Forscher der Uni Bern zeigten, dass rund 60 Prozent der Schlafwandler nicht nur ihre Mitmenschen verletzen können, sondern sich selbst. Sie fallen aus dem Bett, stolpern oder stossen sich an Möbeln.
Der Grund: Schlafwandler nehmen die Umgebung nicht wahr, zudem haben sie ihre Bewegungen nicht gleich gut im Griff wie im wachen Zustand. Selbst wenn sie mit offenen Augen unterwegs sind, sehen Schlafwandler nichts: Das Gehirn kann die Eindrücke nicht verarbeiten. Das Hirnareal, das dafür zuständig wäre, schläft. Auch die anderen Sinne funktionieren nur eingeschränkt.
Am häufigsten wandeln Kinder und Jugendliche im Schlaf. Bei ihnen ist das Hirn noch nicht ausgereift. Sie schlafen daher vor allem nach dem Einschlafen sehr tief. Daniel Brunner, Leiter des Zentrums für Schlafmedizin Hirslanden in Zollikon ZH, sagt: «Viele Kinder schlafwandeln, wenn sie in den Kindergarten kommen und keinen Mittagsschlaf mehr machen.» Aus ihrem sehr intensiven Nachtschlaf wachen sie dann nur teilweise auf – sie schlafwandeln oder schreien im Schlaf. Auch bei Jugendlichen, die übernächtigt sind und nicht im gewohnten Bett schlafen, kommt Schlafwandeln öfter vor.
Umgebung vor dem Schlafengehen absichern
Männer sind im Schlaf häufiger gewalttätig als Frauen. Gefährlich kann es werden, wenn sie jemand anhält. Deshalb sollte man Schlafwandler nicht ansprechen. Schlafexperte Christian Neumann: «Wenn man sie aufweckt, können sie stark erschrecken und sich verletzen.»
Schlafwandler und ihre Angehörigen sollten ihre Umgebung vor dem Schlafengehen absichern, Schlüssel von den Türen abziehen, Fenster wenn möglich abschliessen, die Rollläden herunterlassen und nichts herumliegen lassen.
Was das Schlafwandeln auslöst, weiss man nicht genau. Es gibt aber Hinweise darauf, dass Stress, Fieber, Alkohol und eine familiäre Vorbelastung das Risiko erhöhen können. Auch wer Migräne hat oder in der Nacht unter Atemaussetzern leidet, hat ein höheres Risiko. Australische Forscher fanden zudem heraus, dass das bekannte Schlafmittel Stilnox Schlafwandeln fördern kann.
Wer schlafwandelt, sollte sich vom Arzt untersuchen lassen. Er kann feststellen, ob gesundheitliche Beschwerden die Ursache sind. Manchmal ähneln auch epileptische Anfälle dem Schlafwandeln. Ist das nicht der Fall, helfen laut Schlafmediziner Daniel Brunner oft kleine Verhaltensänderungen (siehe Tipps).
Die meisten Schlafstörungen wie der Nachtschreck oder Zuckungen sind harmlos und verschwinden wieder (siehe Tabelle im PDF). Problematischer ist die sogenannte REM-Schlaf-Verhaltensstörung: Sie tritt in der zweiten Nachthälfte auf, wenn Schlafende träumen. Normalerweise sind dann die Muskeln blockiert. Bei Betroffenen ist die Blockade jedoch gelöst und die Person träumt mit vollem Körpereinsatz. Sie schlägt um sich und hält Personen in ihrer Umgebung oft für Angreifer. Diese Schlafstörung ist typisch für Männer und Frauen ab 70 und kann gefährlich sein: Eine US-amerikanische Studie zeigte, dass 13 Jahre nach Beginn der Störung über 80 Prozent der Betroffenen an Parkinson oder Demenz litten.
Tipps gegen Schlafstörungen
- Schlafen Sie genug.
- Legen Sie sich zu einer kurzen Mittagsruhe hin.
- Verzichten Sie vor dem Zubettgehen auf Alkohol, Kaffee und Stress.
- Machen Sie abends einen Spaziergang.
- Das Schlafzimmer sollte dunkel, ruhig und kühl sein.
- Nehmen Sie nicht ohne Rücksprache mit dem Arzt Schlafmittel wie Stilnox.
- Lassen Sie sich vom Arzt untersuchen. Schlafstörungen können Vorboten von Krankheiten sein.
Buchtipp: Weitere Infos liefert der Ratgeber Erholsam und gesund schlafen.