Der Gesundheitstipp schreibt in jeder Ausgabe über Medikamente – nicht nur frei erhältliche, sondern auch rezeptpflichtige. Die Redaktion vergleicht beispielsweise die Wirkstoffe gegen Knochenschwund, hohen Blutdruck, Rheuma oder Multiple Sklerose. Das vorliegende Heft enthält einen Bericht über das rezeptpflichtige Reisemedikament Stugeron: Der Gesundheitstipp hat mit einer Stichprobe überprüft, ob und wie Apotheken ihre Kunden über Stugeron beraten. Ausserdem kommen Ärzte und weitere Fachleute zu Wort, die den Nutzen und die Nebenwirkungen von Stugeron beurteilen. Grundlage dafür sind Untersuchungen aus der ganzen Welt.
Für Patientinnen und Patienten sind solche Informationen von grossem Wert. Denn längst nicht alle zugelassenen Medikamente haben für sie einen Nutzen. Und die Nebenwirkungen können beträchtlich sein. Oft kennen Ärzte nicht alle Wirkstoffe oder geben Medikamente ab, an denen sie am meisten verdienen.
Der Heilmittelbehörde Swissmedic sind solche Berichte ein Dorn im Auge. Swissmedic ist in der Schweiz für die Zulassung von Medikamenten zuständig. Beurteilt werden Nutzen und Gefahr von Heilmitteln aufgrund von Unterlagen der Hersteller. Über Entscheide von Swissmedic können sich nur die Pharmaunternehmen beschweren, nicht die Patienten.
Mit einer Busse von 50 000 Franken gedroht
Nun geht Swissmedic gegen einen Artikel des Gesundheitstipp vor: Im Bericht «Multiple Sklerose: So riskant sind neue Medikamente» vom Januar 2021 vergleicht der Gesund-heitstipp die wichtigsten Wirkstoffe verschiedener Arzneien (siehe Abbildung im PDF). Er erwähnt etwa die Zahl der schweren Nebenwirkungen in den letzten fünf Jahren – von schweren Leberschädigungen bis zu Hirnhautentzündungen. Pharmakologen und Ärzte kommen insgesamt zum Schluss, dass vor allem neue Mittel gegen Multiple Sklerose problematisch sind. Im Bericht kommen die Hersteller ebenfalls zu Wort. Sie bestreiten die Nebenwirkungen nicht, verharmlosen sie aber.
Das ging Swissmedic zu weit. Die Heilmittelbehörde schickte dem Verlag im Mai dieses Jahres eine Verfügung. Darin verbietet Swissmedic der Redaktion, den Artikel über MS-Medikamente weiterhin im Internet oder auf Papier öffentlich zugänglich zu machen. Bei Zuwiderhandlungen droht die Behörde mit einer Busse bis zu 50000 Franken.
Swissmedic begründet das Verbot damit, der Gesundheitstipp habe einige der erläuterten Medikamente und Therapien «in negativer Weise und risikobehaftet» dargestellt. Das bringe «unweigerlich eine Beeinflussung der Leser mit sich». Den beanstandeten Artikel habe ferner nicht ein Neurologe, sondern ein Internist fachlich geprüft. Einige der im Bericht genannten Empfehlungen würden den offiziellen Leitlinien der Neurologen für Therapien der Multiplen Sklerose widersprechen. Der Gesundheitstipp erwecke bei Lesern den Eindruck, dass «gewisse Arzneimittel anderen überlegen sind». Insofern sei der redaktionelle Beitrag «als Arzneimittelwerbung einzustufen». Werbung für rezeptpflichtige Medikamente sei aber verboten.
Der Gesundheitstipp wehrt sich mit Nachdruck gegen diese Aussagen. Werbung und Redaktion sind beim Gesundheitstipp strikt getrennt. Für den Inhalt eines Beitrags lässt er sich nicht zahlen. Kein redaktioneller Beitrag enthält Werbung.
Gesundheitstipp urteilt unabhängig
Der Gesundheitstipp stützt sich auf Studien, Experten und die statistische Medizin – nicht auf Verkaufsprospekte der Pharmaindustrie. Die Redaktion ist in ihrer Bewertung unabhängig. In der Tat können die Ergebnisse des Gesundheitstipp von der fachlichen Beurteilung durch Swissmedic abweichen. Denn für die Zulassung eines Medikaments benötigt eine Pharmafirma lediglich Studien, die zeigen, dass es besser ist als ein Scheinmedikament. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Medikament besser ist als andere bereits zugelassene. Oder wo die Vor- und Nachteile für die Patienten liegen.
Die Verfügung von Swissmedic ist eine Form der Zensur. Das Verbot eines Berichts über Vor- und Nachteile von Medikamenten ist ein Angriff auf die Pressefreiheit. Die Bundesverfassung schützt «die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen». Dort heisst es auch: «Zensur ist verboten.»
Der Gesundheitstipp hat gegen die Verfügung von Swissmedic Beschwerde eingereicht. Der Fall liegt nun am Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen. Es wird entscheiden, ob Zeitungen und Zeitschriften weiterhin kritisch über Medikamente schreiben dürfen oder nicht.