Depressionen sind für die Pharmaindustrie ein Milliardengeschäft. Kein Wunder, dass sie bei Organisationen mitmischt, die Patienten beraten. Ein Beispiel dafür ist die Schweizerische Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD). Für Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser macht die Organisation einen «undurchsichtigen» Eindruck.
Gesellschaft bestreitet erhöhtes Suizidrisiko
Auffallend: Mehrere Hersteller von Antidepressiva finanzieren die Gesellschaft. Wenig überraschend, fallen die Botschaften auf der Website besonders pharmafreundlich aus. So heisst es: «Alle zur Behandlung der Depression eingesetzten Antidepressiva sind heutzutage nebenwirkungsarm.»
Für den Fachmann Peter Ansari ist das eine klare Falschaussage. Ansari hat zehn Jahre lang über Depression geforscht und war in Hamburg und Berlin in der Hirnforschung tätig. Zudem ist er Autor des Buches «Unglück auf Rezept – Die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen». Er sagt: «Alle Antidepressiva haben Nebenwirkungen – häufig sehr schwere mit teils lebensbedrohlichen Folgen.»
Die Gesellschaft sieht dies anders. Sie schreibt: «Antidepressiva erhöhen das Suizidrisiko nicht.» Auch dem widerspricht Ansari. Er bezieht sich auf eine Übersichtsstudie des unabhängigen Forschernetzwerks Cochrane Collaboration, die im vergangenen Jahr in der Fachzeitschrift «British Medical Journal» veröffentlicht wurde. Darin heisst es, dass Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen das Risiko für Suizidgedanken gar verdoppeln. Und auch bei älteren Patienten könnten die Medikamente solche Gedanken auslösen, sagt Ansari: «Das sind zum Teil Menschen, die nie zuvor an Suizid gedacht haben.»
Der Basler Psychiater Piet Westdijk ergänzt: «Antidepressiva erhöhen nicht nur die Selbstgefährdung, sondern auch aggressives Verhalten anderen gegenüber.»
«Aussage ist ein Schlag ins Gesicht»
Und noch eine Aussage löst bei den Experten Kopfschütteln aus: «Da sie nicht abhängig machen, können die gut verträglichen Medikamente grundsätzlich problemlos über Monate und Jahre eingenommen werden», schreibt die Gesellschaft für Angst und Depression. «Es macht mich wütend, wenn ich das lese», sagt Ansari dazu. «Ich bin schockiert, wie leichtfertig die Gesellschaft Antidepressiva empfiehlt.»
Er habe fast täglich mit Patienten zu tun, die einen schweren Entzug durchmachten. «Für solche Menschen ist diese Aussage wie ein Schlag ins Gesicht.» Diese Erfahrung hat auch Westdijk gemacht: «Patienten können sich oft nur schrittweise und über eine lange Zeit von Antidepressiva befreien.»
Die Aussagen der Gesellschaft erstaunen nicht: Viele Vorstandsmitglieder haben Verbindungen in die Pharmaindustrie. Die Präsidentin Edith Holsboer-Trachsler und Vorstandsmitglied Erich Seifritz stehen bei mehreren Pharmaunternehmen auf der Lohnliste. 2015 habe Seifritz Honorare und Spesen von rund 26 000 Franken erhalten, schreibt das unabhängige Recherchezentrum Correctiv. Bei Holsboer-Trachsler waren es 8000 Franken. Auch andere Vorstandsmitglieder bekamen Geld: Ulrich Hemmeter erhielt 2000 Franken, Thomas Szucs 1000. Szucs’ Nähe zur Industrie zeigte sich schon in der Vergangenheit: So war der Arzt rund fünf Jahre bei Hoffmann-La Roche fürs Marketing von Medikamenten zuständig.
Edith Holsboer-Trachsler und Erich Seifritz sind zudem Vorstandsmitglieder der Schweizerischen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie. Ihre Mitglieder glauben, dass psychische Krankheiten einen körperlichen Ursprung haben. Die Biologische Psychiatrie ist bei Experten umstritten. Kritiker sagen, sie trage zur verbreiteten Anwendung von Antidepressiva bei.
Ein weiteres Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Angst und Depression ist Susanne Walitza. Die Ärztliche Direktorin des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes des Kantons Zürich behandelt auch Kinder und Jugendliche mit Antidepressiva. In der Fachzeitschrift «Pädiatrie» bezeichnete sie Fluoxetin als «Erste-Wahl-Medikament». Dabei ist das Antidepressivum in der Schweiz für unter 18-Jährige gar nicht zugelassen.
Pharmafirmen leisten jährliche Beiträge
Die Pharmanähe der Gesellschaft zeigt sich auch bei der Finanzierung. Die Gesellschaft lebt von Mitglieder- und Sponsorenbeiträgen. Hersteller von Antidepressiva wie Mepha, Servier, Vifor, Zeller und Schwabe steuern einen jährlichen Beitrag von 20 000 Franken bei oder unterstützen die Gesellschaft «projektspezifisch», ist auf der Website zu lesen. Im Gegenzug können sie bei Planung und Umsetzung von Projekten mitreden und an Veranstaltungen einen Stand aufstellen.
Absenderin der Stellungnahme der Gesellschaft ist die Geschäftsführerin der PR-Agentur Iaculis, die hauptsächlich Pharmafirmen betreut. Im Schreiben heisst es, die finanzielle Unterstützung durch Sponsoren sei wichtig, um das Angebot für Fachkräfte und Laien weiterführen und ausbauen zu können. Zur Therapie mit Antidepressiva hält die SGAD fest, dass sie diese als «nebenwirkungsarm» bezeichne und nicht als «nebenwirkungsfrei». Die Cochrane-Studie zeige nur für Kinder und Jugendliche ein erhöhtes Suizidrisiko, nicht für Erwachsene. Allerdings wolle man künftig deutlicher machen, für welche Altersbereiche die jeweiligen Empfehlungen gelten.
Die Gesellschaft bleibt bei der Aussage, dass Antidepressiva nicht abhängig machen würden. Wer die Medikamente jedoch zu schnell absetze, könne Symptome aufweisen.
Das sagen die Vorstandsmitglieder
Vorstandsmitglied Erich Seifritz schreibt, seine Honorare aus der Pharmaindustrie habe er seit 2015 alle offengelegt. Die Schweizerische Gesellschaft für Biologische Psychiatrie fördere auch die Forschung zur Gesprächstherapie. Ulrich Hemmeter schreibt, es handle sich bei ihm um Entschädigungen für Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen, die von mehreren Firmen organisiert und gesponsert waren.
Thomas Szucs schreibt, die Zeit bei Hoffmann-La Roche liege über 25 Jahre zurück. Die Berufserfahrung in der Pharmaindustrie habe er gebraucht, um seinen Facharzttitel zu erlangen. Er sei damals für Blutdrucksenker verantwortlich gewesen. Das Honorar aus der Pharmaindustrie habe er für einen Vortrag vor Industrievertretern erhalten.
Susanne Walitza schreibt, in der Schweiz sei «leider» kein Antidepressivum für Kinder- und Jugendliche zugelassen. Fluoxetin habe wenigstens in Deutschland eine Zulassung. Bei Kindern und Jugendlichen sei die Psychotherapie jedoch immer die erste Wahl.