Drei Jahre lang hatte sie keine Nacht mehr durchgeschlafen. Denn Rahel Iten hat zwei kleine Kinder. «Ich hörte jeden Mucks und wachte immer wieder auf», sagt die 34-Jährige aus Hünenberg ZG. Zudem hatte sie nach der zweiten Geburt den Babyblues. «Ich war erschöpft und oft schwermütig.» Anfang Jahr empfahl ihr ein Therapeut Cannabidiol-Tropfen. Der Wirkstoff aus der Cannabispflanze beruhigt und löst Ängste. Das zeigten Studien. Man kann ihn legal kaufen und er bewirkt keine Euphorie. «Seit ich die Tropfen nehme, schlafe ich tiefer», sagt Iten. Und sie sei ausgeglichener.
Heilmittel aus Pflanzen helfen bei seelischen Beschwerden wie Angst, Depressionen und Schlafstörungen (siehe Tabelle im PDF). Auch psychiatrische Kliniken nutzen die Kraft der Pflanzen, zum Beispiel St. Gallen Nord. Oberärztin Annegret Schlaeppi sagt: «Wir kombinieren natürliche Heilmittel oft mit solchen aus der Schulmedizin.» Gelber Enzian nütze bei Depressionen, denn Patienten fehle oft der Antrieb: «Enzian hilft, dies zu verbessern», sagt die Ärztin.
Mit Safran gegen Depressionen
Auch Safran soll Depressionen lindern. 2018 zeigten australische Forscher in einer Übersichtsstudie, dass Safran wirkt. Ein Beispiel: 60 Teilnehmer einer Studie schluckten mehrere Monate jeden Tag 50 Milligramm Safran. Es verbesserte ihre Stimmung und reduzierte Ängste besser als ein Scheinmedikament.
Gegen leichte und mittelschwere Depressioen setzt der Zürcher Psychiater Peter Mai Johanniskraut ein: «Patienten vertragen es sehr gut und spüren kaum Nebenwirkungen.» Präparate mit Johanniskraut sind sehr gut erforscht. Am besten wirken Jarsin und Rebalance. Das zeigte ein Test des Gesundheitstipp (Ausgabe 11/2015).
Psychiater Mai kombiniert Johanniskraut auch mit chemischen Medikamenten. Vorteil: «Man kann Letztere tiefer dosieren, dadurch gibt es weniger Nebenwirkungen.» Doch Johanniskraut verträgt sich oft schlecht mit anderen Mitteln. Es kann zum Beispiel die Wirkung von Blutverdünnern und der Antibabypille vermindern.
Auch gegen Ängste und innere Unruhe helfen sanfte Mittel, etwa Lavendel. Krankenkassen zahlen neu Laitea, ein Medikament mit Lavendelölextrakt. Mai: «Es wirkt erst nach zwei bis drei Wochen.» Deshalb kombiniert es der Arzt mit synthetischen Mitteln, die sofort helfen. Nach drei bis vier Wochen könne man diese langsam absetzen. Lavendel macht nicht abhängig und man verträgt ihn besser als chemische Mittel gegen Angst. Heilpflanzenexperte Martin Koradi aus Winterthur ZH sagt: «Wer nur gelegentlich nervös ist, dem hilft auch ein Bad.» Sein Tipp: 8 bis 10 Tropfen Lavendelöl mit etwas Vollmilch mischen und ins Badewasser geben.
«Baldrian wirkt oft erst nach zwei Wochen»
Gegen Schlafprobleme gibts verschiedene Heilpflanzen – Melisse, Hopfen und Passionsblume als Tees. Seit langem ist bekannt, dass Baldrian beim Einschlafen hilft. Koradi: «Baldrianextrakt wirkt aber oft erst ab zwei bis vier Wochen.»
Auch mit pflanzlichen Mitteln sollte man nicht zu lange selbst experimentieren. Psychiater Mai: «Wenn sich die Beschwerden nach einem Monat nicht gebessert haben, muss man zum Arzt.» Denn Ängste oder ein Burnout könnten sich verschlimmern, wenn man sie auf eigene Faust behandelt. Medikamente allein seien ohnehin keine langfristige Lösung. «Am besten sucht man die Ursachen und überlegt sich, wie man Probleme am Arbeitsplatz oder in der Familie lösen kann», sagt Mai.
Laut Herstellern belegen viele Studien, dass die Präparate wirken. Arkopharma schreibt, die Arkocaps-Produkte seien geprüft und zugelassen – und Zeller, Hersteller von Rebalance, Relaxane und Climifemin, dass Patienten die meisten Pflanzenmittel sehr gut vertragen. Zudem liessen sich Magen-Darm-Probleme vermeiden, wenn man die Mittel mit dem Essen einnehme. Bei Johanniskraut gebe es keine Wechselwirkungen, wenn man nicht zu viel davon nehme. Und Climifemin habe klar weniger Nebenwirkungen als künstliche Hormone. Sidroga schreibt, die Kombination in Valverde Schlaf sei gut erforscht – und Vifor das Gleiche über Jarsin und Sedonium. Ceres schreibt, wenn Melisse und Hopfen unwirksam wären, «hätte man sie schon lange vergessen».
Verwenden Sie pflanzliche Mittel?
Ursula Bärtschi Buess, 57, Thun BE
«Als Hebamme setze ich oft Kräuter ein. Orangenblüten- und Melissentee helfen den jungen Müttern, gut einzuschlafen. Auch Fussbäder oder ein Bad mit Lavendel tun gut.»
Susy Mourad, 66, Zürich
«Als mein Mann starb, war ich antriebslos und musste ständig weinen. Statt Medikamenten nahm ich abends eine Tasse Johanniskrauttee und legte ein Lavendelkissen ins Bett. Das half mir über die Runden.»
Selina Kallen, 33, Baden AG
«Meine Mutter gab mir Baldrian, wenn ich als Kind nicht schlafen konnte. Das hilft mir noch immer. Wenn ich nicht einschlafen kann oder etwas nervös bin, nehme ich ein paar Tropfen.»
Ellen Näf, 75, Zürich
«Ich nehme keine pflanzlichen Mittel. Ich bin sehr froh, dass ich gar keine Medikamente brauche.»