Der Eingriff am Knie war keine grosse Sache. Reine Routine, sagten die Ärzte dem deutschen Fussballprofi Matthias Sammer. Doch schon bald schmerzte das Knie, Sammer bekam Fieber. Als die Ärzte das Knie erneut untersuchten, erschraken sie: Eine solche Infektion hatten sie noch nie gesehen. Die Keime verbreiteten sich im ganzen Körper.
Drei Wochen lang kämpften die Ärzte um Sammers Leben. Ein Antibiotikum nach dem anderen setzten sie ein – doch keines nützte. Erst das allerletzte wirkte. Doch für Sammers Knie war es zu spät. Seine Karriere war zu Ende. Heute kann er nicht einmal mit seinen Kindern im Garten kicken.
Der Keim, der Matthias Sammer zum Verhängnis wurde, heisst Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, kurz MRSA. Er ist unter Ärzten gefürchtet, denn auch Penicilline können ihnen nichts anhaben. Von den 29 Antibiotika, die es gibt, wirken meist nur noch eines oder zwei. Ärzte zögern, diese einzusetzen: Sie wollen nicht, dass ein Keim auch gegen diese Wirkstoffe resistent wird.
Massentierhaltung fördert resistente Keime
Bis anhin gab es solche Keime nur im Spital, wo seit Jahrzehnten viele Patienten Antibiotika erhalten. Doch in den letzten Jahren zeigt sich ein neues Phänomen: MRSA-Keime in Schweine- und Hühnerställen – und damit auch im Fleisch in den Läden, wie eine Stichprobe zeigt: Der Gesundheitstipp liess 40 Proben von Poulet-, Truten- und Schweinefleisch auf MRSA-Keime untersuchen. Das Fleisch stammte aus Läden in der Schweiz sowie im grenznahen Deutschland. Ergebnis: Die «Landjunker Hähnchenunterkeulen» von Lidl in Waldshut waren mit MRSA belastet.
Das Resultat macht deutlich: Die Massenproduktion von Fleisch fördert die Verbreitung von resistenten Bakterien. Allein Produzenten in Deutschland setzen jedes Jahr in ihren Ställen rund 1500 Tonnen Antibiotika ein. In den Ställen sind oft Tausende von Tieren in einer Halle eingepfercht. Kommt auch nur ein Huhn oder Schwein mit resistenten Bakterien neu dazu, verbreiten sich diese rasch im ganzen Stall und befallen Hunderte von Tieren.
Frühere Stichproben zeigten Ähnliches auf:
- Die deutsche Umweltorganisation «Bund» fand MRSA in 42 von 57 Truthahnproben von Discountern,
- die «Stiftung Warentest» in 5 von 20 Pouletschenkeln, und
- die Schweizer Stiftung für Konsumentenschutz hatte 40 Geflügelproben testen lassen, drei davon waren MRSA-positiv. Alle drei stammten aus Deutschland.
Lidl Deutschland schreibt, man nehme das Ergebnis der Stichprobe «sehr ernst». Die Sicherheit der Kunden stehe im Vordergrund. Die Lieferanten hätten sich «verpflichtet, den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren».
Auch die Schweizer Bauern halten sich bei Antibiotika nicht zurück: 53 Tonnen setzten sie 2013 ein. Das ist zwar weniger als im Spitzenjahr 2008, aber laut Fachleuten immer noch zu viel. Denn viele Bauern verabreichen Antibiotika, ohne dass ein Tier krank wäre. Xaver Sidler, Tierarzt an der Universität Zürich, hat in einer aktuellen Studie Mastbetriebe untersucht. Das Resultat ist alarmierend: Ein Drittel setzt die Medikamente rein vorsorglich ein – obwohl belegt ist, dass dies nichts bringt. Xaver Sidler: «Es werden während der Mast nachweislich gleich viele Tiere krank, und sie haben am Ende der Mast auch nicht mehr Gewicht.» Für Sidler ist deshalb klar: Das vorsorgliche Verfüttern von Antibiotika ist «absolut nicht tolerierbar».
Tiere geben Bakterien an Menschen weiter
Kein Wunder, breiten sich auch in der Schweiz MRSA-Keime rasant aus, wie die Statistik des Bundes zeigt: 2009 hatte erst eines von 50 Schweinen die MRSA-Erreger. 2013 war es schon eines von fünf.
Die Tiere geben die Bakterien an die Menschen weiter, die sie mästen. Bei Menschen nisten sie sich in der Nase ein und verteilen sich auf der Haut. Krank wird man davon nicht. Aber wenn ein MRSA-Träger ins Spital muss, etwa wegen eines Beinbruchs, beginnen die Probleme.
Andreas Widmer, Professor für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Basel, kennt dieses Problem: «Bei einer Operation gelangen immer Keime von der Haut in die Wunde, das kann man gar nicht verhindern.» Doch weil die gängigen Antibiotika nicht wirken, vermehren sich die Keime ungehindert im Körper und können schwere Schäden anrichten.
Aus Ländern, in denen die Tiermastbetriebe ungleich grösser sind als in der Schweiz, kommen alarmierende Zahlen: In Regionen in Deutschland und Holland, wo sich die Massentierhaltung konzentriert, sind heute bis zu vier von fünf Bauern Träger von MRSA. Kommen sie ins Spital, müssen die Ärzte sie isolieren, damit sie die Keime nicht weitergeben. Dies berichtete ein deutscher Arzt in der Zeitung «Die Zeit».
Wie viele Fleischproduzenten in der Schweiz Träger der Keime sind, weiss niemand. Es gibt nur eine kleine Studie aus dem Jahr 2009: Forscher der Universität Lausanne fanden bei 5 von 75 Schweinezüchtern die resistenten Bakterien in der Nase. Andreas Widmer befürchtet, dass sich die Keime weiter ausbreiten: «In der Landwirtschaft haben wir ein echtes Problem mit MRSA. Und wir stehen erst am Anfang.»
Betroffen sind nicht nur die Produzenten, wie Untersuchungen in Deutschland zeigen. Viehmastbetriebe können die Keime auch in die Luft abgeben. In drei Kilometern Abstand von den Ställen fanden Forscher noch hohe Konzentrationen von MRSA – im Boden von Feldern, auf denen Salat und Gemüse wachsen. Immerhin: In der Küche können sich Konsumenten schützen, wenn sie die Regeln der Hygiene einhalten. Besonders heikel ist Geflügel (siehe «Tipps»).
Die Behörden zögern, das Problem anzugehen. Zwar will der Bundesrat die Praxis verbieten, im Stall zum Vorbeugen Antibiotika einzusetzen. Eine entsprechende Vernehmlassung ist Ende März zu Ende gegangen. Ob das Verbot aber wirklich kommt, ist fraglich: Der mächtige Schweizer Bauernverband sträubt sich dagegen. Zwar halte man es «grundsätzlich für sehr problematisch», Tieren vorsorglich Antibiotika zu geben, so der Verband auf Anfrage. Aber das vorgeschlagene Verbot sei «zu wenig ausgereift».
Tipps: So schützen Sie sich vor gefährlichen Keimen
Rohes Fleisch kann resistente Bakterien oder Keime wie Salmonellen enthalten. Besonders heikel ist Geflügel. So senken Sie das Risiko:
Beim Einkaufen:
- Kaufen Sie Biofleisch. Biobauern dürfen Antibiotika nur einsetzen, wenn natürliche Mittel nicht helfen.
- Details zu den Biolabels: www.wwf.ch/foodlabels
In der Küche:
- Lagern Sie rohes Fleisch getrennt von anderen Lebensmitteln.
- Wenn Sie rohes Fleisch berührt haben: Waschen Sie die Hände mit Wasser und Seife.
- Werfen Sie die Verpackung sofort weg.
- Waschen Sie Schneidebretter, Messer etc. gründlich mit heissem Wasser ab.
- Dasselbe gilt für Tische und Arbeitsflächen, auf denen rohes Fleisch gelegen hat.
- Braten Sie Fleisch gut durch, besonders Geflügel.
- Waschen Sie auch Salat und Gemüse zum roh Essen gründlich.