Ja, sicher sind meine Schuhe bequem», sagt Peter Seiler, während er seine Schuhe auszieht. «Sie sind so gut, dass ich sie schon fast durchgelaufen habe.»
Neben ihm sitzt der österreichische Fussspezialist und Sportwissenschafter Wieland Kinz. Mit einem speziellen Gerät, das wie ein rechteckiges Messband aussieht, misst er Seilers Füsse. Dann hält er das Gerät in die Schuhe und stellt fest: Sie sind zu kurz. «Das erstaunt mich jetzt schon sehr», sagt Seiler verblüfft. «Wahrscheinlich haben sich meine Füsse einfach daran gewöhnt.»
Peter Seiler ist einer von 35 Passanten, die sich an diesem Montag im Mai an der Zürcher Seepromenade Füsse und Schuhe ausmessen lassen. Im Auftrag des Gesundheitstipp ist Wieland Kinz aus Salzburg angereist. Ein solcher Test ist auch für den Sportwissenschafter neu. Bis jetzt hat er die Füsse und Schuhe von Kindern erforscht. Stets mit dem Resultat, dass die wenigsten passende Schuhe hatten.
Das Resultat der Stichprobe in Zürich fiel ähnlich dramatisch aus: 26 von 35 Passanten trugen zu kurze Schuhe, 2 zu lange. Nur gerade 7 hatten Schuhe gekauft, die optimal passen. Dazu müssen Schuhe 12 Millimeter länger sein als der längste Zeh. Nur so haben die Füsse genügend Spielraum und können sich natürlich bewegen. «Zu kurz» hiess in den meisten Fällen, dass der Schuh zwar gleich lang war wie der Fuss, aber weniger als 12 Millimeter Spielraum bot. Das muss nicht weh tun, kann aber trotzdem zu Schäden führen.
Die meisten Teilnehmer erstaunt das Resultat – zum Beispiel Imke Windmüller: «Beim Schuhkauf sind Design und Bequemlichkeit für mich am wichtigsten», sagt die 36-jährige Ärztin. Das Resultat der Messung: Ihre Schuhe lassen den Zehen zu wenig Spielraum. Der eine ist nur 1 Millimeter länger als ihre Füsse, der andere genau gleich lang. Stéphanie Lüthis Schuhe sind sogar 1 Millimeter kürzer als ihre Füsse. «Das hätte ich nicht gedacht», sagt die 21-Jährige aus Baden AG. Und: «Ich finde diese Schuhe sehr bequem.»
Stellt sich die Frage: Warum stört es viele Leute nicht, wenn ihre Schuhe den Zehen zu wenig Spielraum lassen oder gar kürzer sind als die Füsse? «Das ist die Macht der Gewohnheit», sagt Kinz. Offenbar würden viele Schuhkäufer mehr auf die Ästhetik achten als auf die Passform, und mit der Zeit gewöhnen sich Füsse und Gehirn an die engen Verhältnisse. Ausserdem würden sich viele Erwachsene beim Kauf auf ihre gewohnte Schuhgrösse verlassen. Das ist laut Kinz ein Fehler: «Schuhgrössen sind nicht normiert. Jeder Hersteller kann ein eigenes Mass bestimmen.»
«Falsche Schuhe schädigen den Körper»
Haben die Füsse im Schuh zu wenig Spielraum, kann das zu Gesundheitsschäden führen. Denn der Fuss sei kein statisches Gebilde, sagt Kinz. Jeder Fussteil bewege sich beim Gehen und brauche Platz. Dies zeigte kürzlich auch ein Artikel im englischen Fachmagazin «New Scientist».
Wissenschaftlich erwiesen ist: Je kürzer der Schuh, desto stärker wird der grosse Zeh nach innen gedrückt. Daraus kann ein Hallux valgus entstehen: Die grosse Zehe zeigt schief in Richtung der Kleinzehen.
«Falsche Schuhe schädigen den ganzen Körper», warnt Kinz. Er erklärt das anhand eines Vergleichs: «Wenn man einen Kieselstein in den Schuh legt, tritt man sofort anders auf.» Die gleiche negative Auswirkung habe ein unpassender Schuh: «Dadurch entsteht eine ungleiche Belastung, die man über Knie und Hüfte bis in die Wirbelsäule hinauf spürt.» Und Martin Berli, stellvertretender Leiter Technische Orthopädie an der Zürcher Universitätsklinik Balgrist, sagt: «Wer zu kleine Schuhe trägt, riskiert eine Arthrose – wegen der Fehlbelastungen der Gelenke.»
Manchmal drückt auch Kinz ein Auge zu. Zum Beispiel bei einer jungen Zürcher Passantin, die ihre Füsse in elegante Schuhe mit hohen Absätzen und enger Spitze gesteckt hat. Auch ihre Schuhe sind zu kurz – die Frau wusste dies aber schon. Sie habe sehr schmale Füsse, sagt sie. Und weiter: «Schuhe, die in der Länge passen, sind mir oft viel zu breit. Daher nehme ich kleinere Nummern.» Schmerzen habe sie nicht, ihre Füsse hätten sich daran gewöhnt.
«Frauen zu erklären, dass solche Schuhe ungesund sind, ist ungefähr wie Eulen nach Athen zu tragen», sagt Kinz und lacht. «Bei Modefragen halte ich mich raus.»
Umfrage: «Die Messresultate haben mich sehr überrascht»
Res Rüdisühli (51), Stäfa ZH, Sportlehrer
«Ich habe eher breite als lange Füsse. Daher ist es für mich nicht ganz einfach, passende Schuhe zu finden. Vor allem, weil ich sportlich-elegante Schuhe wie diese mag. Beim Schuhkauf gehe ich manchmal Kompromisse ein. Diese Schuhe waren genau ein solcher Fall. Dass sie eine Nummer zu klein sind, habe ich erwartet.»
Thomas Burkhard (47), Zollikon ZH, Jurist
«Dass meine Schuhe ideal passen, hätte ich nicht gedacht. Ich glaubte eher, sie seien zu schmal. Ich habe fünf Paar Schuhe – und diese hier trage ich stets im Geschäft. Mittlerweile sind sie gut eingetragen. Beim Kauf achte ich darauf, dass die Schuhe seitlich nicht zu schmal und vorne nicht zu eng geschnitten sind.»
Aaron Peisner (26), New Haven (USA), Musikstudent
«Ich bin froh, dass meine Schuhe so gut passen. Bequeme Schuhe sind für mich sehr wichtig, denn als Dirigent muss ich meistens stehen. Auch hier in Zürich, wo ich an der Musikhochschule einen Workshop besuche. Ausserdem möchte ich, dass die Schuhe cool aussehen und nicht zu auffällig sind.»
Imke Windmüller (36), Zürich, Ärztin
Beim Schuhkauf ist mir am wichtigsten, dass die Schuhe schön und auch bequem sind. Diese Schuhe trage ich sehr häufig – besonders, wenn ich in der Stadt unterwegs bin. Das Resultat der Messungen hat mich sehr überrascht: Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass meine Schuhe zu kurz sind.»
Gratis: Füsse ausmessen und Schuhberatung
Für den Gesundheitstipp kommt der österreichische Schuhfachmann Wieland Kinz für kostenlose Messungen und Beratungen noch einmal in die Schweiz. Kommen Sie in Ihren Lieblingsschuhen vorbei:
- Zürich, Montag, 15. 6., 9 bis 11.45 Uhr: Zentrum Karl der Grosse, Kirchgasse 14 (beim Grossmünster), Zimmer «Turmblick»
- Bern, Montag, 15. 6., 14.15 bis 17 Uhr: Generationenhaus (ehemaliges Burgerspital), Bahnhofplatz 2, 3. Stock, Sitzungszimmer «West 2»
- Luzern, Dienstag, 16. 6., 9 bis 12 Uhr: Universität Luzern, Frohburgstrasse 3, 3. Stock, Raum «3.B05»
So finden Sie die passenden Schuhe
- Fixieren Sie sich beim Schuhkauf nicht auf Ihre gewohnte Schuhgrösse. Schuhgrössen sind nicht normiert.
- Achten Sie darauf, dass die Innenlänge des Schuhs stimmt: Fusslänge plus 12 bis 17 mm Spielraum – entspricht etwa der Breite eines Fingers.
- Der Schuh soll an Fersen und Fussballen perfekt sitzen, ohne zu verrutschen. Wenn dies nicht der Fall ist: Greifen Sie nicht zu einer kleineren Nummer, sondern zu einem anderen Modell.
- Die Sohle sollte weich und beweglich sein.
- Bei schmalen Füssen: Kaufen Sie Schuhe mit Schnürung oder Klettverschluss. So können Sie die Breite der Schuhe Ihrem Fuss anpassen.
- Die Vorstellung «teuer gleich gute Qualität» stimmt auch bei Schuhen nicht immer.