Vor zwei Jahren brachte Irene Arametti Zwillinge auf die Welt. Schon relativ früh während der Schwangerschaft war auf dem Ultraschallbild sichtbar, dass sich eines der Kinder in der Steisslage befand. Von Steisslage reden Fachleute, wenn das Kind mit dem Kopf nach oben im Mutterleib liegt. «Bis zur Geburt hat es sich nicht mehr gedreht», sagt die 32-Jährige aus Grossaffoltern BE.
Arametti wählte für die Geburt ihrer Zwillinge das Spital Riggisberg BE. «Der Chefarzt des Spitals sagte mir, dass eine natürliche Geburt problemlos möglich sei, solange die Kinder nicht quer liegen», sagt Arametti. Die Geburt verlief denn auch schnell und reibungslos: Das erste Mädchen, Martina, kam mit dem Kopf voran zur Welt, nach einer Viertelstunde ihre Schwester Louise in Steisslage. «Ich spürte keinen Unterschied bei der Geburt meiner beiden Kinder», erinnert sich Irene Arametti. «Meine beiden Kinder haben einen wunderbaren Start ins Leben erhalten.»
Irene Arametti ist eine Ausnahme: Neun von zehn Kindern mit Steisslage kommen heute mit Kaiserschnitt auf die Welt. Das ist fatal. Denn der Kaiserschnitt vergrössert die Risiken für Kinder, später Diabetes oder Asthma zu bekommen. Und er belastet die Mütter seelisch und körperlich stark (Gesundheitstipp 3/11). Dabei zeigte eine französische Studie schon im Jahr 2006: Bei natürlichen Steissgeburten sterben nicht mehr Kinder als bei Kaiserschnitten. Für die französischen Forscher ist klar: «Die natürliche Geburt ist bei Steisslage eine sichere Option.» Die Steissgeburt gilt jedoch als komplizierter, weil die Geburtshelfer weniger Zeit haben, um einzugreifen, wenn die Geburt nicht reibungslos verläuft.
Auch das Unispital Zürich schreibt in seiner Geburtsbroschüre, es habe mit Steissgeburten sehr gute Erfahrungen gemacht. Wenn das Becken der Mutter normal geformt und das Kind nicht zu gross sei, könne man «mit einer guten Wahrscheinlichkeit» eine problemlose Steissgeburt erwarten.
Englische Studie mit fatalen Folgen
Dass bei Steisslagen trotzdem meist per Kaiserschnitt entbunden wird, ist die Folge einer Studie, die im Jahr 2000 in einer englischen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. Die Studie behauptete, dass bei der natürlichen Steissgeburt mehr Kinder sterben oder geschädigt werden. Deshalb empfahlen die Autoren den Kaiserschnitt. Der Frauenarzt Peter Böhi aus Altstätten SG sagt: «Diese Empfehlung hat die Spitalärzte stark beeinflusst.» Doch inzwischen kam die englische Studie unter Kritik. Der Frauenarzt Markus Santer vom Kantonsspital Olten SO sagt, die Studie beziehe sich zum Grossteil auf Geburten in Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Resultate dürften nicht auf Schweizer Geburtskliniken übertragen werden.
Doch der Schaden war angerichtet. Markus Santer bedauert: «Nur noch wenige Geburtshelfer beherrschen das Handwerk, eine natürliche Steissgeburt durchzuführen.» Für schwangere Frauen werde es immer schwieriger, eine Gebärklinik mit Erfahrung in Steissgeburten zu finden.
Hebamme Anita Hilario, Leiterin des Geburtshauses Storchenäscht in Othmarsingen AG, rät: «Frauen, die trotz Steisslage natürlich gebären wollen, sollten das Spital fragen, ob es Steissgeburten anbietet.» Sie empfiehlt, auch Spitäler in anderen Kantonen zu kontaktieren und die Krankenkasse zu fragen, ob sie die Geburt dort zahle. Auch viele Hebammen wissen, welche Spitäler die natürliche Steissgeburt durchführen.
Mit sanften Methoden nachhelfen
Falls sich das Kind vor der Geburt nicht auf den Kopf dreht, können schwangere Frauen mit sanften Methoden nachhelfen. Der Solothurher Geburtshelfer Reiner Bernath sagt: «Jede Massnahme, die die Bauchdecke entspannt, ist gut. Ich empfehle die Indische Brücke.» Bei dieser Übung legt sich die Frau auf den Rücken und hebt das Becken an. Das Kind empfindet diese Lage als unangenehm und bekommt so einen Anreiz, sich zu drehen.
Andere Methoden sind die Behandlung der Akupunkturpunkte des Fusses mit Kräuterzigarren oder die Lichtwende, bei der man das Baby mit einer Taschenlampe dazu verlockt, sich zu drehen. Weniger sanft ist die äussere Wendung: Diese Methode besteht darin, dass ein Arzt mit Handgriffen von aussen versucht, das Kind in die normale Lage zu drehen. Die Hebamme Beatrix Angehrn vom Geburtshaus Zürcher Oberland sagt: «Mein Sohn liess sich mit der äusseren Wendung drehen.»
Neben der Steisslage gibt es verschiedene andere Geburtskomplikationen, zum Beispiel die Schwangerschaftsvergiftung oder die Frühgeburt. Bei diesen Komplikationen ist ein Kaiserschnitt in der Regel ebenfalls nicht nötig. Vor zwei Jahren zeigte eine US-Studie, dass die natürliche Geburt auch bei Frühchen genau so sicher ist wie der Kaiserschnitt. Zudem zeigte die Studie: Natürlich geborene Kinder hatten weniger Atmungsprobleme und sie waren vitaler. Bei Wehenschwächen oder bei schlechten Herztönen ist die Geburt oft auch zu Hause oder im Geburtshaus möglich. Bei Komplikationen wie der Querlage oder dem Nabelschnurvorfall ist jedoch immer ein Kaiserschnitt nötig.
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