Starkstrom macht Kinder krank
Ein Bericht des Bundesamts für Umwelt bestätigt ältere Untersuchungen: Hochspannungsleitungen stehen im Verdacht, bei Kindern Krebs zu erzeugen. Doch die Behörden tun sich schwer mit ihrem eigenen Bericht.
Inhalt
Gesundheitstipp 02/2010
14.02.2010
Letzte Aktualisierung:
16.02.2010
Tobias Frey
Der Fall ist exemplarisch: Im Freiburger Dörfchen Jaun starben in den letzten Jahrzehnten sechs Kinder an Leukämie. Und das bei rund 700 Einwohnern. Das sind im Verhältnis rund 20-mal mehr als in der restlichen Schweiz. Die Jauner haben einen Verdacht, weshalb die Kinder sterben mussten: die Hochspannungsleitung, die durch das Dorf führt (siehe Ausgabe 7/05).
Jetzt bekommt ih...
Der Fall ist exemplarisch: Im Freiburger Dörfchen Jaun starben in den letzten Jahrzehnten sechs Kinder an Leukämie. Und das bei rund 700 Einwohnern. Das sind im Verhältnis rund 20-mal mehr als in der restlichen Schweiz. Die Jauner haben einen Verdacht, weshalb die Kinder sterben mussten: die Hochspannungsleitung, die durch das Dorf führt (siehe Ausgabe 7/05).
Jetzt bekommt ihr Verdacht neue Nahrung. Das Bundesamt für Umwelt hat einen Bericht veröffentlicht, der klipp und klar zum Schluss kommt: Kinder, die längerfristig dem Elektrosmog ausgesetzt sind, haben ein «erhöhtes» Risiko, an Leukämie zu erkranken. Für seinen Bericht hat das Bundesamt die wichtigsten Studien der vergangenen Jahre auswerten lassen. Damit würden nicht nur die Befürchtungen der Jauner bestätigt, sondern auch unzählige Wissenschafter auf der ganzen Welt in ihrer Meinung bestärkt – und selbst die Weltgesundheitsorganisation. Sie spricht von einem doppelt so hohen Risiko.
Hätte. Würde. Denn das Bundesamt sieht trotz der neuen Fakten keinen Handlungsbedarf. Mehr noch: Es tut sich schwer mit seinem eigenen Bericht, übt sich in Wortklauberei: Hochspannungsleitungen können «möglicherweise» Krebs auslösen, schreibt es in einer Medienmitteilung. Gegenüber dem Gesundheitstipp beharrt es auf der Formulierung, der Verdacht habe sich nicht «erhärtet», sondern er bleibe einfach «bestehen».
Der Sektionschef krebst zurück
Später schreibt Sektionschef Jürg Baumann nur noch, es handle sich um einen «Hinweis». Die Beweise fehlten. Weder Tests im Labor noch Tierversuche hätten bestätigt, dass diese Art von elektromagnetischer Strahlung Tumoren verursache. Fachleute können das Bundesamt nicht verstehen. Für Yvonne Gilli von den Ärztinnen und Ärzten für Umweltschutz zeigen Studien seit Jahren ein «klar» erhöhtes Krebsrisiko: «Die Messlatte ist sehr hoch angesetzt, bis ein Krebsrisiko offiziell als erwiesen gilt.»
Gemäss den im Bericht ausgewerteten Studien sind vor allem Kinder betroffen, die einer Strahlung von 0,4 Mikrotesla und mehr ausgesetzt sind. Der Grenzwert beträgt 1 Mikrotesla. Für die Ärztin Yvonne Gilli ist dieser Wert deshalb unhaltbar. «Der Grenzwert für Hochspannungsleitungen und andere Anlagen muss vorsorglich auf 0,2 Mikrotesla gesenkt werden.»
Es betreffe nur «einen kleinen Teil der Bevölkerung»
Für das Bundesamt für Umwelt ist das «unverhältnismässig». Gemäss Sektionschef Baumann seien nur ungefähr 2 Prozent der Bevölkerung einer Strahlenstärke von 0,4 Mikrotesla und mehr ausgesetzt: «Das ist ein kleiner Teil der Bevölkerung.» Mit solchen Werten ist innerhalb von etwa 50 Metern Abstand zur Leitung zu rechnen. Weiter schreibt Baumann dem Gesundheitstipp, es handle sich bei den Leukämie-Fällen unter Kindern nicht um Todesfälle, sondern um Neuerkrankte. Und die hätten heute «eine recht grosse Heilungschance».
Baumann wollte sich von dieser Aussage wieder distanzieren. Auch die Autorin des Berichts, Kerstin Hug vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel, zog ihre am Telefon geäusserte Beurteilung der Studienresultate plötzlich wieder zurück. Es sei schwierig, Aussagen so zu machen, dass «möglichst wenig Missverständnisse» entstehen könnten.
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