Rettich, Zwiebel, Mungo oder Kresse: Grossverteiler und Reformhäuser haben mittlerweile ein grosses Sortiment an Sprossen. Jetzt zeigt ein Test des Gesundheitstipp: Viele dieser Sprossen sind regelrechte Keimschleudern. Der Gesundheitstipp hat 20 verschiedene Sprossensorten eingekauft und untersuchen lassen. Das Labor prüfte, wie stark diese verunreinigt waren und ob für Menschen gefährliche Erreger darin steckten.
Über die Hälfte der Proben «ungenügend»
Das Resultat: 12 von 20 Proben enthielten über 50 Millionen Bakterien, Hefen und Schimmelpilze pro Gramm Sprossen. Sie lagen damit über dem Richtwert der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie für abgepackte Frischsalate. Sie wurden als «ungenügend» bewertet. Die Schweiz kennt keine solchen Werte. Zehn dieser Proben hatten sogar 75 Millionen oder mehr Keime: So die Radieschensprossen von Globus oder die Zwiebelsprossen von Manor.
«Genügend» schnitten fünf Produkte ab: die zwei Mungosprossen von Coop, der Mungo-Linsen-Kichererbsen-Mix und die Alfalfasprossen von Spar sowie die Alfalfa-Luzerne-Sprossen von Migros. Sie enthielten zwischen 15 und 50 Millionen Keime.
Es geht auch mit viel weniger Keimen. Das zeigten die Erbsenspargelsprossen des Reformhauses Müller. Das Labor hat darin nur gerade 52 000 Keime festgestellt – Gesamturteil: «sehr gut».
Grund für die hohen Keimzahlen: Beim Hersteller baden die Sprossensamen mehrere Tage in grossen Tanks im Wasser, bis sie keimen. Dies bei Temperaturen von 20 bis 30 Grad. Für Bakterien aller Art ist dieses Klima eine optimale Brutstätte. Sie vermehren sich geradezu explosionsartig. Innerhalb von 20 Minuten verdoppelt sich ihre Zahl.
Dieser Prozess geht weiter, selbst wenn die Sprossen schon abgepackt und gekühlt im Ladenregal liegen. Wie stark, zeigt eine Untersuchung des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung bei rund 50 gebrauchsfertigen Sprossensorten: Bereits vier Tage nach dem Kauf stieg die Zahl der Bakterien, Hefen und Schimmelpilze auf Milliarden. Und das noch innerhalb des Haltbarkeitsdatums. Das Institut kommt daher zum Schluss: «Der Verzehr roher Sprossen ist mit einem unvorhersehbaren Risiko verbunden, an einer Lebensmittelinfektion zu erkranken.» Die zuständige EU-Lebensmittelbehörde hält «Sprossen aus Sicht der Lebensmittelsicherheit für mikrobiologisch bedenklich».
Kantonschemiker rät vom Konsum «dringend» ab
Auch der Zürcher Kantonschemiker Rolf Etter rät gesundheitlich angeschlagenen und geschwächten Personen «dringend» vom Konsum roher Sprossen ab. Für den deutschen Ernährungsexperten und Autor Hans-Ulrich Grimm sind Sprossen «ungesunde Keimschleudern». Peter Brodmann, der stellvertretende Basler Kantonschemiker, sagt, das «gesunde Image» der Sprossen sei trügerisch: «Sie sollen erfrischend und vital sein und gleichzeitig sind sie mit Bakterien übersät.» Er selber esse keine Sprossen. Sein Fazit: «Das sind Lebensmittel, auf die man gut verzichten kann.»
In zwei Proben von Globus und Coop hat das Labor zudem Spuren von Kolibakterien gefunden, das sind menschliche Fäkalkeime. Zwar liegen die Werte deutlich unterhalb des Grenzwerts. Doch Bakterien aus menschlichem Kot haben auf Lebensmitteln nichts zu suchen. So darf zum Beispiel laut Hygieneverordnung Trinkwasser aus der Quelle gar keine Kolibakterien enthalten. Zu diesen gehört auch der Ehec-Erreger. Er löst lebensgefährliche Durchfallkrankheiten aus, wie 2011 in Norddeutschland. Tausende Menschen erkrankten an blutigem Durchfall, rund 50 starben. Als Quelle der Ehec-Bakterien vermuteten die deutschen Behörden verunreinigte Samen aus Bockshornklee. Kantonschemiker Rolf Etter: «Wenn sich schon auf den Samen Krankheitserreger finden, werden sich diese auch bei der Herstellung von Sprossen vermehren.» Das habe die Ehec-Epidemie «drastisch aufgezeigt». Immerhin: In keiner der 20 Proben fand das Labor krank machende Keime wie Salmonellen oder Staphylokokken.
Waschen beseitigt die Bakterien nicht
Wer rohe Sprossen essen will, geht immer ein Risiko ein. Auch wenn man die Keimlinge selber zu Hause zieht. Selbst gründliches Waschen beseitigt gefährliche Erreger nicht. Das zeigte der Test des Bundesinstituts für Risikobewertung: Nach dem Waschen verringerte sich die Bakterienzahl nur «geringfügig». Erst zweimal spülen mit verdünntem Essig half, wenn auch nur wenig. Das Bundesinstitut empfiehlt daher, Sprossen vor dem Essen gründlich zu kochen. Nur so würden alle Bakterien sicher abgetötet.
Coop schreibt dem Gesundheitstipp, die Zahl der Keime lasse keine Aussage über die Qualität der Produkte zu. Kolibakterien seien in der Natur «weit verbreitet». Den gefundenen Wert stuft der Grossverteiler als «nicht kritisch» ein.
Auch Globus meint, dass die Gesamtkeimzahl nichts über die Produktionshygiene aussage. Die Produzenten prüften regelmässig, dass keine Krankheitserreger vorhanden seien. Der vorliegende Fall sei weit unter dem gesetzlichen Toleranzwert für Kolibakterien. Man habe mit dem Produzenten Kontakt aufgenommen, um die Situation zu verbessern.
Spar beruft sich auf fehlende Grenzwerte in der schweizerischen Hygieneverordnung. Trotz sorgfältiger Produktion sei es äusserst schwierig, die Gesamtkeimzahl niedrig zu halten. Hauptkriterium sei, dass keine krank machenden Keime enthalten sind.
Migros schreibt, die hohen Werte bei der Gesamtkeimzahl entstünden produktionsbedingt, seien aber nicht gesundheitsgefährdend. Die gesetzlichen Vorgaben würden bei der Produktion eingehalten.
Manor will beim Hersteller die «Quelle der Verunreinigungen eruieren». Bis dahin sei die Zusammenarbeit mit dem betreffenden Betrieb sistiert. Das Reformhaus Ruprecht teilt über den Hersteller mit, man setze alles daran, eine hohe Keimzahl zu vermeiden.