Es war im Sommer 2010, als Ärzte bei Erika Siegenthaler (Name geändert) aus Neuenburg Brustkrebs feststellten. Sie behandelten die Patientin mit Medikamenten, welche die Hormone blockieren. Diese Therapie bekämpft zwar Krebs, kann aber die Knochen brüchig machen. Deshalb bekam die damals 64-Jährige ein Medikament, das vor Knochenbruch schützen soll: Prolia. Es war damals neu auf dem Markt.
Im Februar 2016 erhielt sie die letzte Prolia-Spritze. Im folgenden Herbst schmerzte plötzlich der Rücken. «Ich hielt es nur aus, wenn ich jeden Tag stundenlang im Bett lag», berichtet sie. Schmerzmittel halfen nicht. Sie musste ins Berner Inselspital. Dort stellten Spezialisten fest: Mehrere Wirbel waren gebrochen. Schuld sei ein «überdurchschnittlicher Knochenmineralverlust». Die Ärzte begründeten dies damit, dass die Knochen wieder dünner wurden, weil die Patientin Prolia abgesetzt hatte. Die Krankenakte spricht von einem «ausgesprochenen Rebound-Phänomen».
Andere Medikamente helfen nicht
Siegenthaler ist nicht die einzige Betroffene: Die Heilmittelbehörde Swissmedic verzeichnete bisher 115 Meldungen über Patienten, die nach dem Absetzen von Prolia Wirbelbrüche erlitten («Saldo» 15/17).
Dazu kommt: Der Knochenabbau lässt sich nicht immer stoppen. Die Ärzte verschrieben Erika Siegenthaler nach Prolia ein anderes Medikament gegen Knochenbrüche: Ibandronat. Doch es konnte die schädliche Wirkung von Prolia nicht aufhalten. Dies ist auch bei Swissmedic bekannt: Dort seien «einzelne Meldungen» über Patienten eingegangen, bei denen Medikamente den «übermässigen Knochenabbau nach Absetzen einer Prolia-Therapie» nicht aufhalten konnten.
«Nur noch ein Mittel der zweiten Wahl»
Die meisten Patienten bekommen Prolia wegen Osteoporose. Auch hier raten Experten ab. Wolfgang Becker-Brüser von der deutschen Zeitschrift «Arznei-Telegramm»: «Es gibt keinen Grund, Patienten mit Prolia zu behandeln.» Auch der Basler Arzt Urspeter Masche sagt: «Beim heutigen Wissensstand stufe ich Prolia nur noch als Mittel der zweiten Wahl ein.» Man solle nur noch damit beginnen, wenn andere Medikamente nicht in Frage kämen.
Bei Erika Siegenthaler kommt dieser Rat zu spät. Denn zurzeit gibt es keine aussagekräftigen Studien dazu, welche Therapie nach der Behandlung mit Prolia am besten nützt. Der Patientin geht es nicht gut: Wegen der Schmerzen kann sie nicht länger als eine Stunde lang am Stück gehen. «Wäre ich nicht pensioniert, müsste ich zur IV», sagt sie.
Die Ärzte geben ihr nun alle sechs Monate wieder Prolia. Dazu muss sie sich täglich das Mittel Forsteo spritzen, das den Knochenaufbau fördert. Ihr Hausarzt schreibt dem Gesundheitstipp: Das «Beste» sei, die Therapie so lange weiterzuführen, bis bekannt sei, wie man Patienten nach dem Absetzen von Prolia behandeln soll.
Studie ignoriert Probleme beim Stopp
Prolia-Herstellerin Amgen verweist auf die Packungsbeilage. In einem Warnhinweis steht dort, nach einem Prolia-Stopp könnten die Knochen brechen, zudem könne die Knochendichte abnehmen. Die Therapie solle deshalb «nicht ohne den Rat des Arztes» unterbrochen werden. Weiter schreibt Amgen, eine Studie habe die Wirkung von Prolia bei Brustkrebs-Patientinnen nachgewiesen. Aber: Diese Studie geht nicht auf die Probleme ein, die beim Absetzen entstehen können. Laut Amgen haben andere Untersuchungen gezeigt, dass Patienten, die auf andere Medikamente wechselten, den «grössten Teil» der mit Prolia erzielten Knochenwerte erhalten konnten. Diese Studien hatten aber nur wenige Teilnehmer. Und: Bei einer australischen Studie erhielt ein Autor Gelder des Herstellers.