Exotische Länder und traumhafte Sonnenuntergänge am Horizont – ist das Ihre Welt?
Das trifft es schon auch. Sie besteht aber vor allem aus viel Arbeit.
Was heisst das?
Wir arbeiten in Schichten von zwölf Stunden. Die eine beginnt um 12 Uhr mittags, die andere um Mitternacht. Wochenenden oder Feiertage gibt es keine.
Und wann erholen Sie sich?
Auf dem Schiff habe ich wenig Zeit dafür. Aber nach fünf Wochen auf dem Schiff habe ich jeweils fünf Wochen Ferien. Und da ich meine Arbeit nicht nach Hause nehmen kann, erhole ich mich während der freien Zeit gut.
Dann gibt es auf dem Schiff nichts als Arbeit?
Eigentlich schon. Nach meiner Schicht esse ich, manchmal gehe ich in den Fitnessraum. Dann lege ich mich schlafen und am nächsten Tag beginnt die Arbeit aufs Neue.
Sind Sie genügend ausgeruht, um ein Schiff zu steuern?
Ja. Ich halte mich fit und versuche, mich schnell an die jeweilige Zeitzone zu gewöhnen. Zurzeit arbeiten wir im Golf von Mexiko, danach an der Küste Australiens. In meinen freien Wochen bin ich in der Schweiz. Ich lebe also alle fünf Wochen in einer anderen Zeitzone.
Was hilft beim Anpassen?
Es kann sein, dass ich um sechs Uhr abends zu Hause ankomme, aber bereits todmüde bin. Dann bleibe ich noch wach. Notfalls gehe ich joggen, damit ich wach bleibe. Manchmal ist das eine Qual. Aber danach kann ich gut schlafen und komme schnell in den Rhythmus.
Was ist es für ein Gefühl, wenn Sie jeweils wieder festen Boden unter den Füssen haben?
Dann schwankt für eine Weile noch alles um mich herum. Vor allem nach einem Sturm braucht der Körper einige Minuten, bis er sich an festen Boden gewöhnt hat.
Sind Sie einsam, weil Sie immer wieder weg sind?
Nein. Aber ich habe wegen meines Berufs schon Bekanntschaften verloren. Viele finden ja Freunde bei der Arbeit – ich hingegen nur für die Zeit auf dem Schiff. Nach dem Einsatz reisen alle wieder in ihre Heimat zurück. Dazu kommt, dass die Schweiz keine Seefahrernation ist.
Wie meinen Sie das?
Wir sind es nicht gewohnt, dass jemand ständig weg ist und Geburtstage oder Hochzeiten verpasst. Bei den vielen Filipinos, die auf dem Schiff arbeiten, ist das anders: Für sie und ihre Familien ist es normal, im Ausland Geld zu verdienen.
Finden Sie zu Hause jeweils schnell wieder Anschluss?
Ja, das ist kein Problem. Ich merke aber, dass ich an Land manches anders sehe.
Was denn?
In der Schweiz können wir zum Beispiel monatelang diskutieren, wo man einen Zebrastreifen erstellen soll. Auf dem Schiff hingegen lösen wir Probleme schnell. Wir können es uns nicht leisten, die Maschinen stehen zu lassen oder Streitigkeiten aufkommen zu lassen. Diese direkte Art mag ich.
Können Sie sich ein Leben als Landratte noch vorstellen?
Im Moment nicht. In etwa zwei Jahren erhalte ich das Kapitänspatent. Was ich dann mache, weiss ich noch nicht.
Zur Person: Silvan Paganini
Silvan Paganini aus Gossau SG ist nautischer Wachoffizier. Er arbeitet auf Schiffen, die Rohre verlegen, um Erdöl und Erdgas zu transportieren. Diesen Monat hilft er in seinen Ferien als Kapitän bei der Seenotrettung im Mittelmeer.