Valerie Hungerford aus Bettingen BS segelt mit ihrem Mann Peter gern auf rauer See, etwa auf dem Atlantik, rund um Spitzbergen oder in der Drake-Passage zwischen Feuerland und Antarktis. «Am Anfang waren wir immer seekrank, vor allem in der Kajüte», erzählt Hungerford.
Ein Segelfreund empfahl dem Ehepaar Stugeron-Tabletten. Der Wirkstoff Cinnarizin soll die Durchblutung im Innenohr anregen. Hungerford: «Wenn starker Wellengang angekündigt ist, nehmen wir die Tablette eine Stunde vor der Fahrt und dann alle sechs Stunden.» Nach wenigen Tagen habe sich der Körper an das Schaukeln gewöhnt.
Die Seekrankheit ist verbreitet. Umfragen zeigen, dass vier von fünf Teilnehmern an Kreuzfahrten oder Segeltörns schon mindestens einmal seekrank waren – mit den üblichen Symptomen: Übelkeit und Erbrechen, Kopfweh, kalter Schweiss oder gar der Wunsch zu sterben. Die Universität von Utah (USA) erhob Daten von Kreuzfahrten, bei denen alle Reisenden seekrank wurden. Vor allem Frauen und Kinder haben ein erhöhtes Risiko.
«Körpereigenes Histamin spielt die Schlüsselrolle»
Einer der ausgewiesensten Experten für Medikamente und Präparate gegen die Seekrankheit ist Andreas Koch von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel (D). Koch hat mit Forschern im «Deutschen Ärzteblatt» die aktuelle Studienlage zu Mitteln gegen die Reisekrankheit ausgewertet.
Fazit: «Es gibt kein Mittel, das die Seekrankheit völlig verhindern kann», so Koch. Viele Mittel unterdrücken den körpereigenen Botenstoff Histamin. «Er spielt bei der Seekrankheit eine Schlüsselrolle», sagt der Experte. Deshalb sei es am effektivsten, die Wirkung von Histamin im Gehirn und im Blut zu blockieren. Allerdings machen solche Medikamente schläfrig.
«Antihistaminika sind das Mittel der Wahl»
Der Gesundheitstipp hat chemische und sanfte Mittel gegen die Seekrankheit verglichen. Beim Präparat Stugeron schwächt der Wirkstoff Cinnarizin nicht nur die Wirkung von Histamin ab. Er verbessert auch die Durchblutung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr und hilft so gegen Schwindel und Übelkeit. Allerdings gibt es nur wenige Studien, die das belegen. Stugeron soll weniger müde machen als andere Mittel gegen Histamin.
Ärzte verschreiben gegen Seekrankheit oft klassische Antihistaminika-Wirkstoffe wie Dimenhydrinat oder Meclozin. Man bekommt sie in der Apotheke ohne Rezept. Sie lindern die Symptome, indem sie im Gehirn die Rezeptoren für Histamin blockieren.
Andreas Koch: «Antihistaminika sind bei Seekrankheit das Mittel der Wahl.» Zu diesem Schluss kam letztes Jahr auch die internationale Forschergemeinschaft Cochrane.
Die Trawell-Kaudragees enthalten Dimenhydrinat. Man kaut sie dann, wenn die Beschwerden einsetzen. Die Wirkung tritt rasch ein, da der Körper den Wirkstoff über die Mundschleimhaut aufnimmt. Das Medikament Itinerol B6 mit dem Wirkstoff Meclozin wirkt hingegen erst nach 30 bis 60 Minuten, weil sich die Kapsel im Verdauungstrakt auflösen muss. Vitamin B6 wirkt gegen Übelkeit. Itinerol enthält zudem Koffein. Das soll verhindern, dass man durch die Einnahme schläfrig wird.
Das Kombipräparat Arlevert enthält zwei Wirkstoffe: Cinnarizin und Dimenhydrinat. Man bekommt es gegen Rezept beim Arzt. Es ist allerdings nur gegen Schwindel zugelassen und nicht gegen die Seekrankheit. Gemäss Alexander Vögtli von der Plattform Pharmawiki verschreiben Ärzte Arlevert selten gegen die Seekrankheit.
Scopolamin wirkt auf das vegetative Nervensystem, soll beruhigen und Übelkeit lindern. In Studien wirkte es gegen die Reisekrankheit sogar etwas besser als Antihistaminika. In der Schweiz gibt es keine Präparate mit Scopolamin. Interessierte können sie im Ausland bestellen. Via Internet sind Pflaster erhältlich, die man hinters Ohr klebt. Doch Vorsicht: Wechselt man das Pflaster zu oft oder klebt man gleichzeitig mehrere Exemplare auf, kann es zu Halluzinationen kommen.
Auch Pflanzen und Vitamin C können helfen
Wer nur an leichten Symptomen leidet, sollte zuerst zu sanften Mitteln greifen. Dazu zählt Ingwer. Einige Studien weisen laut Andreas Koch darauf hin, dass das Pulver aus der Ingwerwurzel den Brechreiz lindern kann. Die Wirkung setzt innert einer halben Stunde ein.
Vitamin C beschleunigt den Abbau von Histamin im Blut. Forscher um Andreas Koch wiesen 2013 in einer Studie nach, dass hoch dosiertes Vitamin C Symptome der Seekrankheit lindern kann. Für die Studie waren 70 Personen in einer Rettungsinsel in einem Pool Wellen ausgesetzt, die einen Meter hoch gingen. Teilnehmer, die eine Stunde vor dem Versuch 2 Gramm Vitamin C bekommen hatten, zeigten viel geringere Symptome als die andere Gruppe.
Auch homöopathische Mittel mit Cocculus aus Samenkörnern des indischen Kockelstrauchs können gegen Übelkeit helfen. Dazu gibt es allerdings keine aussagekräftigen Studien. Alexander Vögtli: «Die Wirkung beruht hauptsächlich auf dem Placeboeffekt.»
Die gute Nachricht: Ist man seekrank, gewöhnt sich der Körper meist nach 12 bis 24 Stunden an das Geschaukel. Die Übelkeit lässt dann auch ohne Medikamente deutlich nach.