Seebad Enge, Zürich, Anfang Dezember. Ein eisiger Wind weht, das Thermometer zeigt für die Luft null und für das Wasser drei Grad. Jana Ressner hüpft im Badekleid in den Zürichsee, ohne zu zögern – als ob sie sich nur mal kurz abkühlen wollte. «Herrlich!», ruft sie nach ein paar Schwimmzügen, planscht ein bisschen auf dem Rücken, dann wieder auf dem Bauch. Nach etwa fünf Minuten steigt sie aus dem Wasser, zieht Badekappe und -anzug aus und taucht nochmals in die eisigen Fluten. Ohne Kleider im kalten Wasser zu schwimmen sei für sie «einfach schön», sagt die 55-Jährige kurz darauf in der Garderobe des Seebads. Inzwischen ist ihre Haut krebsrot angelaufen, die Schwimmerin taut langsam wieder auf. «Es kribbelt», sagt sie und lacht, «ein tolles Gefühl.»
Jana Ressner ist nicht allein mit ihrer eiskalten Leidenschaft. In Bern gibt es seit ein paar Jahren den «Gfrörli-Club», eine lose Truppe von fünf bis zehn hartgesottenen Schwimmerinnen und Schwimmern. Man trifft sich zwischen November und März jeweils am Freitagmittag unter der Kornhausbrücke auf einen kurzen Schwumm in der Aare. Pressesprecher und Buchführer der Gruppe ist der 37-jährige Informatiker Sebastian Kracher.
Das Immunsystem wird angekurbelt
Für Kracher ist Eisbaden «ein etwas verrückter Spass». Doch wenn man einmal damit angefangen habe, werde man «fast süchtig» nach dem Gefühl, sagt er. Ressner ist überzeugt davon, dass sie dank des Winterschwimmens keinerlei Wechseljahrbeschwerden hat. Sebastian Kracher indes sagt, er habe den Eindruck, weniger oft krank zu sein als vorher.
Fachleute bestätigen, dass eiskaltes Wasser den Körper widerstandsfähiger macht. Ingo Froböse, Sportwissenschafter an der Deutschen Sporthochschule Köln: «Es regt den Stoffwechsel und die Durchblutung an.» Dadurch könne sich der Körper Temperaturschwankungen besser anpassen. Gleichzeitig kurble es das Immunsystem an, es bildeten sich mehr der weissen Blutzellen, die für die Abwehr von Viren zuständig sind.
Eintauchen in eiskaltes Wasser ist für den Körper ein Schock. Er schüttet dabei Adrenalin und andere Stresshormone aus, aber auch Endorphine, die Glückshormone. Das führt zu einer Euphorie. Ressner und Kracher schwärmen, dass sie sich danach immer «aufgestellt und fit» fühlen. Rosmarie Köhler, Zürcher Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, bezeichnet Winterschwimmen auf ihrer Website als «etwas für die gute Stimmung». Man fühle sich «frisch und wach», die Wintermüdigkeit verfliege sofort. Köhler kennt das Gefühl: «Wenn es die Zeit erlaubt, schwimme ich mehrmals wöchentlich im Zürichsee.»
Tiefe Wassertemperatur: Für Ungeübte ein Risiko
Schwimmen in kalten Seen oder Flüssen ist aber nicht für alle geeignet. In einer grossen Studie stellten griechische Forscher der Universität Ioannina fest: Nur wer regelmässig im Winter schwimmt, härtet sich ab und beugt damit Krankheiten vor. Für Ungeübte hingegen kann es riskant werden. Denn der Körper braucht Zeit, um sich an die Kälte zu gewöhnen. Christian Schmied, Sportarzt und Herzspezialist am Unispital Zürich: «Besonders Patienten mit Herz-Kreislauf-Problemen und sportlich untrainierte Personen sollten nicht plötzlich mitten im Winter damit beginnen.» Es strenge den Körper extrem an. In der Kälte ziehen sich die Muskeln zusammen, es kommt zum Kältezittern. Damit versucht der Körper, mehr Wärme zu erzeugen. Ungeübte Schwimmer ermüden dann rasch, es folgen Muskelkrämpfe. Schmied: «Wenn sie dann im tiefen Wasser schwimmen, können sie leicht ertrinken», sagt er. Zudem belaste die Kälte das Herz stark, sagt Schmied, «das kann zu ernsthaften Kreislaufproblemen führen». Wer ausprobieren will, wie es sich anfühlt, bei Eis und Schnee zu baden, dem rät Schmied deshalb vorher zu einem Check beim Arzt, um Herz-Kreislauf-Krankheiten auszuschliessen.
Kalte Arm- und Fussbäder zur Vorbereitung
Um für den Winter gewappnet zu sein, empfehlen Fachleute, sich behutsam an kaltes Wasser zu gewöhnen. Ingo Froböse: «Am besten mit kalten und warmen Duschen zu Hause.» Auch Arm- und Fussbäder mit kaltem Wasser seien für den Anfang geeignet. Dem kann sich Christian Schmied anschliessen: Gut sei, wenn man sich regelmässig auf diese Weise schon ab dem Herbst vorbereite. So sei man im Winter weniger empfindlich gegen kalte Temperaturen.
Weitere Infos:
«Das Buch vom Winterschwimmen», Rainer Brenke, Werner Siems, Husum-Verlag, ca. Fr. 19.–
Tipps: Das müssen Sie beachten
- Klären Sie beim Hausarzt ab, ob Schwimmen im sehr kalten Wasser für Sie geeignet ist.
- Hören Sie am Ende der Badesaison nicht mit Schwimmen auf. So gewöhnen Sie sich unmerklich an das kältere Wasser.
- Schwimmen Sie im Winter wenn möglich 1 bis 3 Mal pro Woche im kalten Wasser, setzen Sie nicht längere Zeit aus.
- Bleiben Sie höchstens so viele Minuten im Wasser, wie dieses Grad über dem Nullpunkt hat. Beispiel: Bei drei Grad drei Minuten.
- Gehen Sie nicht alleine schwimmen.