Heute gilt: Ärzte entnehmen einem Verstorbenen nur dann Organe für die Transplantation, wenn er oder seine Angehörigen explizit zugestimmt haben. Eine Volksinitiative der Westschweizer Vereinigung Jeune Chambre Internationale Riviera will das ändern: Jeder Verstorbene soll potenziell ein Organspender sein. Will er das nicht, muss er sich vorgängig dagegen aussprechen. Fachleute sprechen von der Widerspruchslösung. Mit ihrem Vorhaben wollen die Initianten die Zahl der Organspender erhöhen. Am 21. April sammeln sie Unterschriften auf öffentlichen Plätzen.
«Die Organspende ist ein Geschenk»
Fachleute äussern sich kritisch. Die Ethikerin Eliane Pfister Lipp, Leiterin des Instituts Neumünster in Zollikerberg ZH, sagt, mit dem Vorschlag der Initianten würde das persönliche Recht am eigenen Körper untergraben: «Auch einen toten Körper darf man ohne aktive Zustimmung nicht verletzen.» Schweigen dürfe man nicht als Zustimmung deuten.
Ruth Baumann-Hölzle von der Zürcher Stiftung «Dialog Ethik» sagt, eine Organspende sei freiwillig – und das müsse auch so bleiben: «Sie ist ein Geschenk.» Mit der geplanten Regelung würde man in Kauf nehmen, dass Chirurgen den Menschen auch gegen ihren Willen Organe entnehmen. Ruth Baumann-Hölzle: «Der Körper des Verstorbenen ist dann nur noch Mittel zum Zweck.»
Um dem vorzubeugen, wollen die Initianten ein nationales Register einrichten. Darin müssten sich alle Personen eintragen, die ihre Organe nach dem Tod nicht spenden möchten. Für Ethikerin Eliane Pfister Lipp ist das jedoch keine Lösung: «Es ist nicht angemessen, wenn man Menschen zum Handeln zwingt, damit man ihnen nach dem Tod nicht etwas Ureigenes wegnimmt.» Dazu kommt: Selbst das Bundesamt für Gesundheit zweifelt, dass die Widerspruchslösung etwas bewirkt. Es schreibt: «Sie alleine hat keinen Einfluss auf die Spenderate.»
Swisstransplant, die Stiftung für Organspende und Transplantation, unterstützt die umstrittene Vorlage – auch mit einem Beitrag von 30000 Franken. Pikant: Swisstransplant ist durch öffentliche Gelder finanziert. Die Stiftung organisiert im Auftrag des Bundes die Verteilung der Organe und die Wartelisten.
Die Idee der Initianten ist nicht neu: Bereits beim Ausarbeiten des neuen Transplantationsgesetzes vor fünf Jahren scheiterten Politiker um den damaligen Zürcher Ständerat Felix Gutzwiller (FDP) damit. Sie kamen gegen eine Mehrheit von Skeptikern in den Kommissionen und Räten nicht durch – deren Argumente sind bis heute die gleichen geblieben.
Laut Initianten eine «Chance» für Empfänger
Mélanie Nicollier, Sprecherin des Initiativkomitees, schreibt dem Gesundheitstipp, mit der Regelung wolle man den Menschen auf der Warteliste für ein neues Organ eine Chance geben. Die Persönlichkeitsrechte der Spender würden mit der Initiative nicht verletzt, sondern sogar «viel besser» garantiert. Dazu trage auch das Register bei. Denn heute kenne man in mehr als der Hälfte der Fälle den Willen der Verstorbenen nicht. Swisstransplant habe nicht nur Geld gespendet, sondern unterstütze die Initative «mit ihrer Expertise».
Für Swisstransplant ist das Engagement zugunsten der Initiative kein Problem. Die Geldspende, schreibt Direktor Franz Immer, stamme aus dem Stiftungskapital und entspreche dem Zweck der Stiftung. Sie habe «keinen Zusammenhang mit dem Leistungsauftrag des Bundes».
Aufruf: Soll man nach dem Tod automatisch zum Organspender werden?
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