Seit ein paar Jahren gibt es Bluttests für Schwangere. Sie sollen zeigen, ob ein noch nicht geborenes Baby Störungen an den Chromosomen hat. Dazu gehören Trisomie 21, 18 oder 13 (siehe Kasten rechts). Der Test zeigt auch Fehlbildungen an den Geschlechts-Chromosomen. Fachleute nennen diese Tests «nicht-invasive Pränataltests», kurz Nipt. Eine Blutprobe genügt. Früher mussten Ärzte den Schwangeren Fruchtwasser entnehmen, um das Trisomierisiko abzuklären – ein riskanter Eingriff.
Kein Wunder, lassen sich immer mehr Frauen testen: Vor fünf Jahren meldeten Schweizer Laboratorien dem Bundesamt für Gesundheit rund 2000 Nipt-Tests. Vorletztes Jahr waren es schon über 25000. Einer der Gründe: Das Bundesamt hat vor zwei Jahren die Regeln geändert. Krankenkassen zahlen die Tests bereits, wenn vorgängige Tests wie das Messen der Nackenfalte und der Ultraschall ein Trisomierisiko von 1:1000 angeben. Früher betrachteten Ärzte ein dreimal höheres Risiko als normal, also Werte bis 1:300.
Nipt-Testresultate sind unzuverlässig
Doch die neuen Tests sind umstritten. Fachleute kritisieren, Ärzte erhöhten den Druck auf Frauen, das Trisomierisiko abklären zu lassen. Sie würden ihre Patientinnen zudem schlecht beraten. Franziska Wirz, Leiterin der Beratungsstelle Appella in Zürich, sagt: «Viele betroffene Frauen verstehen nicht, dass das Risiko sehr klein ist.» Ein Risiko von zum Beispiel 1:1000 bedeutet, dass das Kind zu 99,9 Prozent keine Trisomie hat.
Zudem müssten Ärzte eine schwangere Frau zuerst fragen, ob sie ihr Kind abtreiben möchte, wenn es behindert wäre, sagt Wirz. Und: «Wenn die Antwort Nein ist, muss sie die Tests gar nicht erst machen.» Die Nipt-Tests sind mit rund 800 Franken auch teuer. Zudem sind sie nicht zuverlässig. Manchmal zeigen sie eine Behinderung an, obwohl das Kind gesund ist. So war es auch bei S. B. aus Reinach BL. Weil sich ihr Kind zu stark in ihrem Bauch bewegte, konnte die Ärztin das Messen der Nackenfalte nicht mit der nötigen Präzision durchführen. Deshalb empfahl sie den Bluttest.
Resultat: Es bestehe der Verdacht, das Kind habe das Turner- Syndrom – eine seltene Wachstumsstörung. «Ich war am Boden zerstört», sagt die Frau heute. «Die Ärztin sagte mir, vier von fünf betroffenen Kindern würden während der Schwangerschaft sterben. Das hat mich fast wahnsinnig gemacht.» Das Testergebnis erwies sich als falsch: Im Juli 2016 brachte S. B. ein gesundes Mädchen zur Welt. Heute sagt sie: «Ich würde den Test nicht mehr machen lassen.»
Das Bundesamt für Gesundheit schreibt: Der Entscheid, dass Krankenkassen den Nipt ab einem Risiko von 1:1000 zahlen müssen, sei ein Kompromiss zwischen medizinischen und wirtschaftlichen Überlegungen: Die Kosten für die Krankenkassen müssten «vertretbar» sein.
Roche Diagnostics, Herstellerin des Harmony-Tests, schreibt, das Bundesamt für Gesundheit habe die Qualität und den Nutzen der Nipt-Tests bestätigt.
Die Firma Synlab verkauft den Neobona-Test. Sie sagt, er sei preiswert, eine Fruchtwasserpunktion wesentlich teurer. Und: Es stimme nicht, dass die Nipt-Tests den Druck auf Schwangere vergrösserten, das Risiko abklären zu lassen. Denn die Frauen könnten den Test nicht selbst bestellen, dies sei entsprechend ausgebildeten Ärzten vorbehalten.
Strassenumfrage: Würden Sie Ihr Ungeborenes untersuchen lassen?
Perrine Epple, 24, Obfelden ZH
«Ich würde den Trisomie-Test nicht machen. Ich habe mit behinderten Menschen beruflich gearbeitet und bin überzeugt: Jeder Mensch hat das Recht zu leben. Ich würde auch ein behindertes Kind akzeptieren.»
Katharine Jackson, 41, Zürich
«Ich machte den Test, wollte mein Kind aber auf keinen Fall abtreiben. Mein Mann hatte eine andere Meinung: Er wäre für die Abtreibung gewesen, falls das Kind behindert wäre. Wir haben lange darüber diskutiert.»
Karin Buchser, 57, Zürich
«Kinder mit Trisomie sind eine Bereicherung für unsere Welt. Sie haben eine ganz andere Ausstrahlung. Sie sind direkter. Ich würde den Test nicht machen. Aber das muss jede Frau selbst entscheiden.»
Claudine Bandi, 55, Zürich
«Gut, gibts Tests. Die Betreuung eines Kindes mit Trisomie ist eine Riesenaufgabe. Sie verändert das Leben mehr als mit einem gesunden Kind. Und bekanntlich bleibt der grösste Teil der Betreuung an den Müttern hängen. Deshalb würde ich abtreiben, wenn der Test positiv wäre.»
Monika Haggenmüller, 33, Zürich
«Diesen Test würde ich nicht machen. Denn ich möchte nicht bereits vor der Geburt wissen, ob mein Kind behindert zur Welt kommt. Ich wäre auch mit einem behinderten Kind glücklich.»
Valerie Joncas, 29, Zürich
«Das ist eine schwierige Frage. Ich weiss nicht, ob ich den Test machen würde. Zwar verstehe ich, wenn Frauen sich ein gesundes Kind wünschen. Aber nach einer Abtreibung würde ich mich vielleicht schuldig fühlen. Zudem könnte der Test ein falsches Resultat liefern.»
Caroline Stückelberger, 27, Rickenbach ZH
«Ich war schwanger, habe den Test aber nicht gemacht. Für uns war von Anfang an klar: Es spielt keine Rolle, ob unser Baby behindert ist oder nicht. Ein behindertes Kind hat genauso viel Freude am Leben.»
Diese Krankheiten können Chromosomen-Tests entdecken
Die neuen Nipt-Tests zeigen, ob in den Zellen des Fötus bestimmte Chromosomen beschädigt, zusätzlich
vorhanden sind oder fehlen.
Trisomie 21 (Down-Syndrom)
Das 21. Chromosom ist dreifach vorhanden. Folgen: Hautfalte am Auge, Sehstörungen, Schwerhörigkeit, leichte geistige Behinderung, Herzfehler.
Häufigkeit in der Bevölkerung: ca. 1:700
Trisomie 18 (Edwards-Syndrom)
Das 18. Chromosom ist dreifach vorhanden. Folgen: Vier von fünf Kindern sterben vor der Geburt oder nach wenigen Tagen, schwere Behinderungen, frühe Alterszeichen.
Häufigkeit: 1:3000 bis 1:6000
Trisomie 13 (Pätau-Syndrom)
Das 13. Chromosom ist dreifach vorhanden. Folgen: Viele Kinder sterben vor der Geburt oder im ersten Lebensjahr, schwere Behinderungen, Fehlbildungen des Gehirns und anderer Organe.
Häufigkeit: 1:5000 bis 1:10000
Monosomie X (Turner-Syndrom)
Mädchen haben nur ein X-Chromosom statt zwei. Folgen: Die meisten Kinder sterben vor der Geburt, geringe Körpergrösse, Unfruchtbarkeit.
Häufigkeit: ca. 1:2500
Gratis-Merkblatt: «Tests in der Schwangerschaft»
Zum Herunterladen unter www.gesundheitstipp.ch oder zu bestellen gegen frankiertes und adressiertes C5-Antwort-couvert bei: Gesundheitstipp, «Schwangerschaftsests», Postfach 277, 8024 Zürich.