Ich schaue mir jeden Tag mehrmals Pornos an und befriedige mich selbst. Eine bestimmte Vorliebe habe ich nicht: Solange es um Sex zwischen Mann und Frau geht, interessiert mich alles. Der Sex muss auch nicht besonders hart sein.
Schön ist das aber nicht: Danach fühle ich mich elend und nutzlos. Ich versuche, von dieser Sucht loszukommen. Dafür halte ich mich an klare Zeiten, in denen ich masturbiere. Dann mache ich es ohne Pornos und stelle mir vor, ich sei der aktive Mann – nicht mehr nur Zuschauer. Aber das fällt mir schwer. In der Realität habe ich fast nie Sex. Der Druck ist viel zu gross, dass ich es gleich machen muss wie die Männer in den Pornos.
So läuft das schon seit Jahren. Ich interessierte mich schon als Neunjähriger für nackte Frauen. Das ist verdammt früh. Schon damals schaute ich mir Pornobilder im Internet an. Später bestand meine gesamte Freizeit aus Pornoschauen und Gamen. In der schlimmsten Zeit machte ich das zwölf Stunden am Tag.
Meine Sucht hat viel mit der Religion zu tun. Ich bin sehr religiös aufgewachsen – meine Eltern sind bei den Zeugen Jehovas. Ständig trichterten sie mir ein, dass Sex vor der Ehe böse sei. Meine Mutter erwischte mich einmal, als ich mir Bilder von nackten Frauen anschaute. Sie drohte mir, wir würden das mit den Versammlungsältesten besprechen. Das machte mir riesige Angst.
Mit elf Jahren hatte ich eine Freundin. Meine Mutter schärfte mir ein, es sei eine Sünde, eine Frau zu küssen. Sie verlangte, dass ich mich von meiner Freundin und dem ganzen Freundeskreis verabschiede. So wurden Frauen in der Realität für mich innerlich tabu. Wenn ich mir dann heimlich Nacktbilder ansah, war ich zwar überzeugt, etwas Schlechtes zu tun. Aber ich dachte mir: «Wenn ich das in echt nicht erleben kann, dann nehme ich mir das, was greifbar ist.»
Irgendwann schaute ich mir fünf bis acht Mal am Tag Pornos an – und war gleichzeitig immer noch bei den Zeugen Jehovas aktiv. Ich gewöhnte mich an das schlechte Gewissen. Ich bin eh schon verloren, dachte ich mir. Es spielte keine Rolle mehr.
Mit 18 Jahren trat ich aus der Kirche aus. Aber das schlechte Gewissen blieb. Ich fühlte mich einsam und wertlos. Im letzten Herbst ging es mir sehr schlecht. Ich kam in die psychiatrische Klinik. Für mich war das ein grosses Glück: Ich habe eine Tagesstruktur und bekomme eine Therapie.
Noch immer wünsche ich mir bei so vielem, es wäre besser: mein Verhältnis zu meinen Eltern, meine Beziehung zu meinem Bruder und auch ich selbst. Jetzt lerne ich, dass ich nicht perfekt sein muss. Auch so, mit meinen Fehlern, bin ich es wert, dass man mich schätzt.
Erst seit kurzem habe ich eine App auf dem Smartphone, über die ich Frauen kennenlerne. So habe ich hie und da ein Date und übe, echte Nähe zuzulassen und zu geniessen. Es ist sehr schön, zu erleben, dass mich jemand umarmt und sich für mich interessiert.
Ich hoffe, dass ich bald ein normales Leben führen kann, zu dem Sex ganz selbstverständlich dazugehört. Ich wünsche mir nämlich sehr, dass ich einmal eine Familie haben kann.
Sexsucht: Hier findet man Beratung
Bei übermässigem Verlangen nach Sex sprechen Fachleute von Hypersexualität. Die einen sind süchtig nach Pornos, andere leben exzessive Sexualität mit Partnern aus oder gehen ins Bordell. Die Sucht verursacht zwar keine körperlichen Schäden. Das seelische Leiden ist aber gross, denn Betroffene sind oft einsam oder haben Konflikte mit dem Partner und der Familie. In der Therapie versucht man, die Ursachen der Sucht zu finden, und übt neue Verhaltensweisen ein.
Information und Beratung:Selbsthilfeschweiz.ch, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, Abteilung für Verhaltenssüchte, info@upk.ch, Tel. 061 325 50 92