Wenn es im Hals kratzt, greifen Alexandra Chennaoui, ihr Mann Mourad und ihre beiden Kinder Yasin und Niya nicht gleich zu chemischen Medikamenten. «Wir ziehen natürliche Heilmittel vor», sagt die 39-Jährige aus Degersheim SG. Deshalb trinken sie bei Erkältungen Tee mit Salbei oder Thymian, gönnen sich viel Ruhe und lutschen Echinadoron-Tabletten. «Damit bringen wir die Beschwerden meist nach ein bis zwei Tagen weg», sagt Alexandra Chennaoui.
Echinadoron ist ein Medikament aus der anthroposophischen Medizin. In Apotheken gibt es mittlerweile viele solche Heilmittel: vom Hustensaft über Brust- und Nasensalben bis zu Tropfen und Globuli (siehe Tabelle). Den lukrativen Markt teilen sich zwei Firmen: Wala und Weleda.
Quecksilbersulfid und Stinktiersekret
Die anthroposophische Medizin beruht allerdings auf einer Theorie, die aus Sicht der Naturwissenschaft schwer verständlich ist. Sie stützt sich auf die Philosophie von Rudolf Steiner. Die Arzneien bestehen aus teils merkwürdigen Gemischen aus Pflanzen, Mineralien, Metallen und tierischen Stoffen. Darunter findet sich auch Eigenartiges wie Silber, giftiges Quecksilbersulfid oder Stinktiersekret. Einiges davon ist verdünnt und potenziert – ähnlich wie in der Homöopathie. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser sagt: «Die Mischungen sind etwas gewagt und nicht immer nachvollziehbar.» Auch beim Herstellen kommen ganz eigene Techniken zum Einsatz: So spielen Wärme- und Licht-Rhythmen eine grosse Rolle. Gallus Stöckler, Leiter der Apotheke der Klinik Arlesheim BL, sagt: «Das steigert die Heilkraft und unterstützt die Lebenskräfte, weil alles Leben voller Rhythmen ist.»
Gute Studien zu diesen Arzneimitteln fehlen. Die Hersteller verglichen ihre Produkte nie mit Scheinpräparaten (Placebo), wie das bei chemischen Medikamenten üblich ist.
Dennoch: Bei Erkältungen kann sich ein Versuch mit anthroposophischen Arzneien lohnen. Sie sind kaum teurer als chemische Erkältungsmittel und haben weniger Nebenwirkungen. Fachleute berichten von guten Erfahrungen, wie der Dozent und Naturheilpraktiker René Schwarz aus Dornach SO: «Die Mittel unterstützen die Selbstheilungskräfte.» Sie würden Menschen helfen, sich gegen «Eindringlinge» wie Viren zu wehren.
Bei Erkältung: «Das innere Feuer anregen»
Bei Erkältungen wählt die anthroposophische Medizin Stoffe wie Meteoreisen, Bergkristall oder Phosphor. Laut Hersteller Wala sollen sie «die Wärmebildung des Körpers anregen». Auch Naturheilpraktiker Schwarz empfiehlt Arzneien und Therapien, die «das innere Feuer anregen». Denn eine Erkältung entstehe, wenn der Mensch seelisch und körperlich unterkühlt sei und so zu wenig Widerstand leisten könne.
Bei Schnupfen und Hustenschleim setzt man zudem Stoffe ein, welche die Flüssigkeiten im Körper regulieren sollen. Dazu gehört Bryonia. Die Pflanze kommt in mehreren Erkältungsmitteln vor, z. B. in den Infludo-Tropfen oder der Schnupfencreme von Weleda.
Eine Reihe von Inhaltsstoffen ist auch aus naturwissenschaftlicher Sicht sinnvoll bei Erkältungen. So hat es in Echinadoron Sonnenhut. Die Pflanze stimuliert das Immunsystem. Zudem enthalten die Lutschtabletten Kamille und Ringelblume. Heilpflanzenexperte Martin Koradi aus Winterthur ZH: «Diese Pflanzen können im Hals Entzündungen lindern.»
Auch ätherische Öle wie Eukalyptus oder Cajeput in Schnupfen- und Brustsalben hält Koradi für hilfreich. «Sie vermitteln das Gefühl, dass man freier atmen kann.» Andere Pflanzen wie die Schlehe oder die Berberitze sind hingegen lediglich in der Anthroposophie von Bedeutung. «Wie gut ein Präparat wirkt, hängt auch davon ab, wie viel von einer Pflanze enthalten ist und wie man diese verarbeitet hat», so Koradi.
Arzneimittel sind nicht die einzige Therapie, die Anthroposophen bei Erkältungen empfehlen. Hinzu kommen eine gesunde Ernährung, regelmässiger Schlaf sowie wärmende Fussbäder und Wickel, zum Beispiel mit Senfmehl. Die Grundversicherung der Krankenkasse zahlt seit kurzem nun definitiv für Therapien von Ärzten mit Zusatzausbildung in Anthroposophie. Erkältungsmittel kann man jedoch ohne Rezept in Apotheken kaufen.
Hersteller Weleda schreibt, die langjährige Erfahrung habe gezeigt, dass die Präparate wirken. Die Zusammensetzung basiere auch auf Wissen von Pflanzenmedizin, Homöopathie und Naturwissenschaft. Wala verweist darauf, dass ihre Mittel von den Behörden geprüft und zugelassen seien. Sie seien eine wichtige Ergänzung zur Schulmedizin.
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