Mit ihrem Cholesterinspiegel hat Verena Dändliker schon lange zu kämpfen: Der Arzt hat der 72-Jährigen aus Stäfa ZH deshalb Medikamente verschrieben – erst Sortis und danach das Generikum Atorva. Die Statine sollten das Cholesterin senken und die Seniorin vor einem Herzinfarkt schützen. Doch Verena Dändliker bekam von den Tabletten Schmerzen in den Muskeln. «Besonders schlimm war es nach dem Pilates-Training oder wenn ich längere Zeit ging.» Schliesslich setzte sie die Pillen ab. Drei Monate später waren die Schmerzen weg. Doch der Cholesterinspiegel sei wieder «recht hoch», sagt sie.
Dändliker ist kein Einzelfall. Eine aktuelle Analyse der Fachzeitschrift «Arzneimittelbrief» bestätigt: Muskelschmerzen treten weit häufiger auf, als bisherige Studien annehmen liessen – nämlich bei jedem zehnten Patienten. Betroffene können auch an einer Schwäche in den Muskeln leiden. In seltenen Fällen lösen sich gar die Muskelfasern auf. Untersuchungen belegen, dass speziell leichtgewichtige Frauen gefährdet sind und Senioren, die eine ganze Reihe Pillen nehmen müssen.
Cholesterin-Spezialist Nicolas Rodondi vom Berner Inselspital sagt: «Wir haben viele Patienten mit solchen Beschwerden.» Einige würden sich einfach schlapp und müde fühlen. Andere könnten nicht mehr rennen, seit sie Cholesterinsenker nehmen.
Dies hat Konsequenzen: Die Patienten machen weniger Sport. Das kann fürs Herz ebenso schädlich sein wie Cholesterin. Das zeigte 2013 die Studie eines US-Zentrums für Militärmedizin. Das Forscherteam aus Washington untersuchte rund 10 000 Veteranen, die schlechte Cholesterinwerte hatten. Innert zehn Jahren starben in der Gruppe der am wenigsten fitten Teilnehmer trotz Statinen viel mehr Leute als in der Gruppe, die sich viel bewegte und auf Cholesterinsenker verzichtete. Noch etwas besser war die Überlebensrate bei den Fitten, die Statine schluckten. Zu diesem Schluss kommt auch Arzt Michael Schindler vom Kantonsspital Baden AG: «Die Kombination von aktivem Lebensstil und Statinen hat für die Gesundheit den grössten Nutzen.»
Spezialist Rodondi rät: «Man sollte genau prüfen, ob Statine nötig sind.» Sie seien nur sinnvoll, wenn Patienten insgesamt ein hohes Risiko für Krankheiten der Herzgefässe haben. Das gilt etwa, wenn man familiär vorbelastet ist, Bluthochdruck hat und übergewichtig ist. Unbestritten sind Cholesterinsenker auch bei Patienten, die einen Herzinfarkt hatten oder deren Herzgefässe verengt sind.
Trotzdem: «Noch immer erhält die Hälfte der Patienten mit geringem Risiko Statine», kritisiert Rodondi. Sie brauchten die Medikamente gar nicht. Zu diesem Schluss kam jetzt auch das Swiss Medical Board, ein wissenschaftliches Gremium, das Therapien überprüft: Statine solle man erst dann in Betracht ziehen, wenn alle anderen Möglichkeiten, das Risiko fürs Herz zu senken, ausgeschöpft seien.
Tipp: Statin mit anderem Wirkstoff ausprobieren
Wenn ein Patient unter Nebenwirkungen leidet, rät Rodondi, ein Statin mit einem anderen Wirkstoff auszuprobieren. Andere Gruppen von Cholesterinsenkern seien jedoch selten eine Alternative. «Es ist unklar, ob sie Herzkrankheiten vorbeugen», so der Arzt. Auch eine niedrigere Dosis oder eine Pause könne Muskelprobleme lindern. Bisweilen empfehlen Therapeuten Kapseln mit Coenzym Q10. Sie sollen die Nebenwirkungen der Statine mildern. Doch bisher ist nicht nachgewiesen, dass dies nützt.
Novartis sagt, Muskelprobleme seien bei ihrem Produkt Lescol «selten». Bei Beschwerden sollen sich Patienten «unverzüglich» an den Arzt wenden. MSD schreibt, in der Packungsbeilage von Zocor seien Muskelprobleme aufgeführt. «Auftreten und Ausmass können individuell stark variieren», so Sprecherin Angelika März. Pfizer und Astra Zeneca nahmen nicht Stellung.
Tipp: Unter Agla.ch / «Risikoberechnung» können Sie überprüfen, wie gross Ihr Herzinfarktrisiko ist.
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Cholesterin
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