Carla Cantieni öffnet ihre Arme, während sich ihr linker Fuss hinter das rechte Bein schiebt. Dann hebt sie den linken Arm in die Höhe. Sie macht seit mehr als 20 Jahren das chinesische Körpertraining Tai-Chi. Jedes Jahr besucht die 51-Jährige aus Winterthur ZH einen mehrtägigen Kurs, wo sie die fliessenden Bewegungen lernt. Ansonsten führt sie die Übungen zu Hause allein durch. Ihren Tag beginnt sie regelmässig mit einem Morgenritual. «So schöpfe ich Lebensenergie», sagt sie. Danach fühlt sie sich wach und konzentriert.
Nach der Arbeit hilft Tai-Chi Carla Cantieni beim Entspannen. Gern geht sie dafür ins Freie. Sie zieht nicht einmal extra Sportkleider an. «Ich mache nur ein paar Übungen und trage dazu meine normalen Kleider», sagt Cantieni. «Danach kann ich das, was ich im Alltag erlebe, besser annehmen.»
«Es geht um den achtsamen Umgang mit dem Körper»
Wie Carla Cantieni suchen viele Leute einen Ausgleich zur Hektik im Alltag. Tai-Chi eignet sich besonders gut, um Körper und Geist in Einklang zu bringen und sich zu entspannen. Das zeigt ein Vergleich des Gesundheitstipp: Nadja Ackeret, Psychologin beim Bundesamt für Sport, und Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser bewerteten fünf sanfte Bewegungstechniken.
Ergebnis: Tai-Chi schneidet am besten ab. Dabei führt man langsame, fliessende Bewegungen aus. Sie sind aus der chinesischen Kampfkunst abgeleitet, dienen zum Entspannen und sollen den Energiekreislauf fördern. Chinesische Forscher zeigten 2021, dass Tai-Chi gegen Angst und Depressionen hilft sowie das Stresshormon Cortisol im Blut reduziert. Das Training ist auch gut fürs Gedächtnis: 2023 stellten australische Forscher fest, dass Tai-Chi Demenz im frühen Stadium bremsen kann.
Hans-Peter Sibler ist Experte für Tai-Chi und Qigong. Er sagt: «Es geht bei diesen Bewegungstechniken um einen achtsamen Umgang mit dem eigenen Körper.» Dabei ist es besonders wichtig, regelmässig und bewusst zu atmen. Nadja Ackeret sagt: «Bewusstes Atmen verhilft zu Gelassenheit und Energie im Alltag.» Mit einer tiefen Bauchatmung könne man sich gezielt entspannen. Thomas Walser bestätigt: «Atemzüge spiegeln den Gemütszustand eines Menschen und beeinflussen ihn.»
Hinzu kommt: Bewegung fördert die Denkfähigkeit. Sie hat laut Walser vor allem einen positiven Einfluss auf den Hippocampus, eine Hirnregion, die unter anderem dafür verantwortlich ist, dass man sich an Ereignisse erinnert. Nadja Ackeret: «Wenn man sich bewegt, wird das Gehirn verstärkt durchblutet.» Das helfe, neuronale Verbindungen aufzubauen.
Qigong ist leicht zu erlernen
Um Körper und Geist zu beruhigen, eignet sich neben Tai-Chi auch Qigong sehr gut. Dabei macht man wiederholt kurze Bewegungen im Liegen, Sitzen oder Stehen. Qigong ist laut Hans-Peter Sibler in der Regel leichter zu erlernen als Tai-Chi. Das Zusammenwirken von Bewegen und Atmen soll den Energiefluss harmonisieren sowie die Vitalität und die seelische Ausgeglichenheit fördern. Wie bei Tai-Chi kann man die Übungen zu Hause oder im Freien machen, zusätzliches Material braucht es nicht.
Auch Yoga eignet sich gut zum Energietanken. Es gibt verschiedene Arten, die unterschiedlich anstrengend sind. Bei allen sind die Bewegungen genau auf die Atemzüge abgestimmt. Das beruhigt das Nervensystem und hilft Körper und Geist beim Entspannen. Viele Yogaübungen kann man zu Hause machen. Dafür braucht es häufig eine Matte.
Bei der Meditation geht es laut Nadja Ackeret darum, einen Zustand der inneren Ruhe und der Klarheit zu erreichen. Es gibt unterschiedliche Formen, die man im Liegen, Sitzen oder Gehen ausführen kann. Meditation muss nicht zwingend mit Spiritualität zusammenhängen. Auch bei dieser Technik ist das richtige Atmen wichtig. «Es dient als Hilfsmittel, um die innere Mitte zu finden», erklärt Nadja Ackeret.
Für das autogene Training wählt man eine möglichst ruhige und entspannte Umgebung. Dabei nimmt man im Liegen oder im Sitzen eine bequeme Position ein und schliesst die Augen. «Das autogene Training nach Schultz benutzt das bewusste Lenken von Gedanken, die sogenannte Autosuggestion, um eine körperliche Entspannung herbeizuführen», sagt Ackeret. Man stellt sich dabei bestimmte körperliche Empfindungen vor: dass zum Beispiel die Glieder schwer werden. Gratis-Anleitungen für autogenes Training gibt es unter Mobilesport.ch im Internet.
Einsteiger sollten mehrere Methoden ausprobieren
Wer eine der Techniken langfristig umsetzen möchte, sollte laut Nadja Ackeret darauf achten, dass einem die Übungen ein gutes Gefühl geben – sowohl während als auch nach der Anwendung. Ackeret empfiehlt Einsteigern, mehrere Methoden auszuprobieren. «Es macht nichts, wenn das Entspannen nicht immer gleich gut gelingt», sagt sie. Wichtiger sei es, dranzubleiben und sich bewusst jeden Tag etwas Gutes zu tun.