Manchmal falle ich um, einfach so. Kochen ist inzwischen zu gefährlich für mich. Ich könnte stürzen, wenn ich gerade eine Pfanne mit heissem Wasser oder Öl in der Hand halte. Das Zmittag esse ich nun in einem Zürcher Pflegezentrum. Manchmal gleiten mir auch Dinge aus der Hand, fallen zu Boden. Daher trinke ich nicht mehr aus Gläsern, sondern nehme Becher aus Hartplastik.
Ursache ist die Krankheit Huntington. Ich weiss von ihr erst seit vergangenem Jahr, als mein Vater starb. Er hatte am ganzen Körper so heftig gezittert, dass er im Rollstuhl sitzen musste. Erst kurz vor seinem Tod erfuhr ich, dass er Huntington hatte. Diese Krankheit wird vererbt. Sie zerstört den Bereich im Gehirn, der die Muskeln steuert. Auch ich hatte damals schon Symptome: Manchmal bewegte ich mich unkontrolliert. Dann zuckten zum Beispiel mein Kopf und meine Ellenbogen. Deshalb befürchtete ich sofort, dass auch ich diese Krankheit habe. Ich liess mich untersuchen. Das Resultat war positiv.
Der Schock war gross. Wie geht es jetzt weiter?, fragte ich mich. Rasch wurde mir klar: Jetzt kommt ein neues Leben auf mich zu. Und ich musste herausfinden, wie ich auf diesem Weg für mich sorgen kann, denn ich möchte so lange wie möglich selbständig leben. Ich brauche für alles mehr Zeit, auch für die einfachsten Dinge. Meinen Haushalt organisierte ich neu. So habe ich zum Beispiel nichts mehr zu Hause, das Scherben verursachen kann. Und im Pflegezentrum mache ich jede Woche verschiedene Therapien. Übungen für den Körper und die Hände helfen mir, möglichst lange beweglich zu bleiben.
Die Krankheit greift auch die geistigen Kräfte an. Ich kann mir fast nichts merken. In der Logopädie muss ich zum Beispiel Dinge nachsprechen. Die Therapeutin will so testen, wie es um meine Aufnahmefähigkeit steht. Zeitungen kann ich, abgesehen von kurzen Artikeln, nicht mehr lesen. Gegen Ende eines Textes weiss ich nicht mehr, was am Anfang stand. Deswegen musste ich auch meinen Job in einem Büro aufgeben. Heute lebe ich von der IV.
Statt zu lesen, höre ich nun häufiger Musik. Ich liebe Musik aus den 1970er- und 1980er-Jahren, zum Beispiel von Michael Jackson oder Abba. Dann fühle ich mich unbeschwert und frei. Es tut mir sehr gut, wenn ich mich in meine Wohnung zurückziehen kann. Zu Hause funktioniere ich am besten.
Das Gehen wird allmählich schwierig für mich. Das macht mir grosse Sorgen. Sehe ich Menschen im Rollstuhl, zerreisst es mir fast das Herz. Ich habe Angst, wenn ich mir vorstelle, wie es mir in ein paar Jahren gehen könnte. Da hilft mir meine Gesprächstherapie. Ich hoffe, dass die Krankheit sehr langsam verläuft. Ich bete oft zu meinen Schutzengeln, damit sie mir Zeit lassen. Oft tue ich das im Wald, denn dort spüre ich sie besonders gut und fühle mich geborgen und getröstet.
Chorea Huntington: Eine unheilbare Erbkrankheit
Chorea Huntington ist eine seltene Krankheit des Gehirns. Ein fehlerhaftes Gen ist die Ursache dafür, dass die Hirnzellen zugrunde gehen. In der Schweiz sind etwa 800 Menschen von dieser Erbkrankheit betroffen. Meistens bricht sie im Alter von 35 bis 45 Jahren aus. Typisch sind ruckartige Bewegungen des Kopfs, der Hände, Arme oder Beine. Im Extremfall führt dies zu einem tänzelnden Gang: Deshalb nannte man die Krankheit früher «Veitstanz». Betroffene haben oft auch Probleme beim Sprechen oder Schlucken. Zudem lassen ihre geistigen Kräfte nach. Die Krankheit ist unheilbar. Es gibt bloss Therapien, um die Symptome zu lindern.
Informationen und Beratung: Schweizerische Huntington Vereinigung, www.shv.ch, Tel. 044 552 06 02