Red Bull hat seinen Preis. Fr. 1.60 kostet die kleine Büchse bei der Migros, 10 Rappen mehr bei Coop. Der Energy Drink ist damit wesentlich teurer als bei anderen Marken.
Das hat seinen Grund. Von jeder verkauften Dose Red Bull fliessen 40 bis 50 Rappen ins Werbebudget der Firma. Weit über eine Milliarde Euro pumpt die Firma ins Marketing, so Schätzungen. Zahlen gibt Red Bull nicht bekannt.
Beliebte Träger der Red-Bull-Werbung sind Extremsportler. Mit Vorliebe unterstützt der österreichische Konzern Athleten, die mit waghalsigen Aktionen auf sich aufmerksam machen: Klippen- und Fallschirmspringer, Motocross-Freestyler, Kunstflieger. Immer mit dabei: eine Batterie von Videokameras. Auf ihrer Homepage und im hauseigenen Sender «Red Bull TV» zeigt die Firma die Filme: perfekt produzierte, pure Action. Alles nach dem Motto: «Red Bull verleiht Flügel.»
Auch Jhonathan Flórez war ein Red-Bull-Athlet. Der Kolumbianer war auf Basejumping spezialisiert, eine besonders gefährliche Variante des Fallschirmspringens. Statt aus dem Flugzeug stürzen sich die Athleten von Brücken, Hochhäusern oder Felswänden in die Tiefe. Videos und Bilder zeigen Flórez mit Red-Bull-Helm und -Wingsuit. Das ist ein Anzug mit Stoff zwischen Armen und Beinen, der etwas Auftrieb gibt. Damit können Basejumper vorwärtsfliegen statt nur nach unten zu fallen.
In diesem Sommer kam Flórez in die Schweiz: Am 3. Juli springt er mit zwei Kollegen aus der Ostwand des Titlis. Die drei wollen einen Formationsflug durchführen. Doch etwas geht schief. Der Kolumbianer prallt in eine Felswand und stürzt ab. Die Rega kann ihn nur noch tot bergen.
Damit ist Flórez der bisher letzte einer Reihe von tödlich verunglückten Red-Bull-Sportlern. Drei Beispiele:
- Der 14-jährige Motorradfahrer Toriano Wilson starb 2008, als er in der ersten Runde eines Red-Bull-Nachwuchsrennens stürzte.
- Im Berner Oberland starb 2009 der Basejumper Eli Thompson bei Dreharbeiten für Red Bull.
- Motocross-Freestyler Eigo Sato verunglückte 2013 beim Training für die Red-Bull-Tournee. Er hatte versucht, mit dem Motorrad einen Salto rückwärts durchzuführen.
«Sponsoring ist ein gefährliches Instrument»
Recherchen des Gesundheitstipp belegen: Bis heute sind mindestens zehn Sportler gestorben, die entweder direkt von Red Bull engagiert waren oder an deren mitfinanzierten Anlässen auftraten.
Jetzt regt sich Kritik am System von Red Bull. Denn Sponsoring erhöht den Druck auf die Sportler, immer waghalsigere Aktionen zu versuchen. Oliver Furrer, Extremsportler und Kenner der Szene, sagt: «Es ist ein gefährliches Instrument.»
Furrer ist einer der erfahrensten Fallschirmspringer der Schweiz. Seit 25 Jahren betreibt er den Sport, rund 7500 Sprünge hat er bisher gemacht. Seine Spezialität nennt sich Skysurfen: Die Athleten fliegen mit einem Snowboard an den Füssen durch die Luft, bevor sie den Fallschirm öffnen. Dreimal wurde Oliver Furrer in dieser Disziplin Weltmeister.
Auch er hat Sponsoren. Sie stellen Fallschirme oder Sonnenbrillen her. Die Hersteller geben ihm ihre Produkte günstiger oder gratis, er trägt dafür ihr Logo, grosse Firmen wie Red Bull sind nicht darunter. Seine Sprünge finanziert er selber. Der Grund, so Furrer: «Ist das Wetter schlecht, oder wenn ich Fieber habe, springe ich nicht, um mich nicht zu gefährden. Ich habe nur Sponsoren, die das akzeptieren.»
In den letzten zehn Jahren hätten finanzkräftige Sponsoren vermehrt auf Extremsport gesetzt, sagt Furrer (siehe Kasten Seite 12). Das sei gut für die Sportler, weil sie leichter zu Ausrüstung und allenfalls auch zu Geld kämen. Aber Sponsoren wie Red Bull üben subtilen Druck auf die Athleten aus: «Wenn du ein- oder zweimal sagst, der Sprung ist mir zu gefährlich, findet der Sponsor einen anderen, der es macht, und du bist weg vom Fenster.»
Genau hier werde es fragwürdig, sagt Hans-Balz Peter, pensionierter Professor für Wirtschaftsethik an der Uni Bern: «Ein Sponsor darf einem Sportler kein Honorar anbieten für ein Risiko, das dieser sonst nicht eingehen würde. Andernfalls macht sich die Firma mitschuldig, an dem, was passiert.»
Lazaro Schaller ist Klippenspringer. Der 26-jährige Zürcher machte diesen August Schlagzeilen, als er im Tessiner Maggiatal von einem 58,5 Meter hohen Wasserfall sprang: neuer Weltrekord. Auch Schaller sagt: «Wenn jemand vom Extremsport leben will, spürt er den Druck der Sponsoren. Immer höher, schneller, weiter muss es sein. Das kann heikel werden.»
Schaller hat sich anders entschieden. Er arbeitet beim Sportamt Zürich, betreibt das Klippenspringen nur als Hobby. Helfer und Material für den Rekordsprung hat das Schweizer Fernsehen bezahlt, es machte daraus eine Sendung.
Geschätzter Werbeeffekt: 6 Milliarden Euro
Als Ende August die Zeitungen über den Rekordsprung berichteten, stammten die Bilder allerdings von Red Bull. Das Schweizer Fernsehen räumt auf Anfrage ein, man habe der Getränkefirma das Bildmaterial von Schallers Sprung verkauft. Wie viel Geld geflossen ist, geben weder der Sender noch Red Bull bekannt.
Für das Unternehmen lohnt sich der Deal. Einmal mehr kann es sich mit Extremleistungen in Szene setzen. Ganz nebenbei hat sie den Namen des Getränks im redaktionellen Teil von Zeitungen platziert. Für Marketing-Leute ist das wie ein Sechser im Lotto.
Schon beim Projekt «Red Bull Stratos» lief es so. 2012 sprang der Österreicher Felix Baumgartner aus der Stratosphäre ab, rund 200 TV-Sender berichteten live. Für Red Bull ein Bombengeschäft: Gemäss einer Schätzung des deutschen TV-Senders ARD kostete die Aktion rund 50 Millionen Euro. Durch die gigantische Medienpräsenz habe die Firma jedoch einen Werbeeffekt im Gegenwert von etwa 6 Milliarden erzielt.
Allen Beteiligten war vor dem Sprung klar: Wenn etwas schief geht, könnte dies Baumgartners Tod bedeuten. Melanie Werren, Ethikerin an der Universität Bern, sagt: «Ein tödlicher Unfall hätte zwar eine Kontroverse ausgelöst. Aber die Bekanntheit der Marke Red Bull wäre dadurch nur gestiegen.» Baumgartner riskierte beim Sprung sein Leben, Red Bull nichts.
Basejumper verunglückte – Red Bull schwieg
Jetzt feiert das Unternehmen Baumgartner als Held. Bei Todesfällen geht es lieber auf Tauchstation. Als 2009 Basejumper Ueli Gegenschatz verunfallte, reagierte Red Bull erst drei Tage später mit einer Pressemitteilung. Heute ergibt die Suche zu seinem Namen auf der Red-Bull-Homepage null Treffer.
Dabei war der Appenzeller einer der bekanntesten Basejumper. In der Szene galt er als Vorbild, weil er grossen Wert auf Sicherheit legte. Im November 2009 sprang er in Zürich vom 88 Meter hohen Sunrise Tower – eine Werbeaktion für
ein geplantes Red-Bull-Handyabo. Doch am Tag des Absprungs wehte ein böiger Wind. Der Sprung misslang – Gegenschatz schlug unkontrolliert auf dem Boden auf und starb zwei Tage später.
Freunde können sich nicht erklären, weshalb Gegenschatz den Sprung riskierte. Der Schweizer Basejumper Michael Schwery sagt: «Wenn Ueli den Sprung nur für sich gemacht hätte, wäre er bei diesen Bedingungen nicht gesprungen.»
Einige kritische Zeitungsartikel hinterfragten danach die Rolle des Konzerns. Doch der grosse Aufschrei blieb aus – und im Red-Bull-Marketing nehmen Extremsportler nach wie vor viel Raum ein.
Laut Ethiker Peter stehen auch die Konsumenten in der Verantwortung. Jeder Klick auf ein Red-Bull-Video und jeder Kauf einer Dose Red Bull komme der Firma zugute: «Die Konsumenten müssen sich bewusst sein, dass ihr Verhalten ein solches System unterstützt und überhaupt erst
Zur Kritik und zu den Todesfällen äussert sich Red Bull nicht. Die Firma schreibt nur, man unterstütze Athleten in über 170 Sportarten, darunter auch die Ruderer Mario Gyr und Simon Schürch und die Triathletin Natascha Badmann. «Wir unterstützen sie darin, ihre Träume zu verwirklichen und ihren Sport professionell auszuüben.»
Extremsportler als Werbeträger: Firmen denken um
Nicht nur Red Bull, auch Firmen wie Adidas haben Extremsportler unterstützt, die tödlich verunglückten:
Die Uhrenmarke Sector stellte in den 90er-Jahren für die Werbekampagne «No limits» ein «Team» aus Extremsportlern zusammen. Doch 1998 starben die Bergsteigerin Chantal Mauduit und der Fallschirmspringer Patrick de Gayardon. Daraufhin stellte Sector das Engagement ein.
In den USA erregte der Fall von Dean Potter Aufsehen. Der Extremalpinist und Basejumper balancierte zum Beispiel auf dem Hochseil über Abgründe, ohne Netz und Sicherung. Wegen umstrittener Aktionen verlor er Sponsoren, darunter die Kleider- marke Patagonia und letztes Jahr die Energieriegelfirma Clif Bar. Sie schrieb, sie wolle «diese Formen von Sport, die das Risiko in extremste Bereiche treiben, nicht weiter unterstützen».
Adidas unterstützte Potter bis zu seinem Tod im Mai: Er und ein Kollege starben, als sie in ihren Wingsuits durch eine Lücke im Yosemite-Nationalpark (USA) flogen. Adidas sponserte auch Basejumper Ramon Rojas. Der Chilene starb 2014 in Lauterbrunnen BE. Die Firma schreibt dem Gesundheitstipp, man sei «noch immer zutiefst betroffen» über den Tod der beiden. Man wolle künftig weder Wingsuit-Events unterstützen noch Sportler, «deren Fokus auf Wingsuit-Fliegen liegt».