Das gute Essen meiner Frau fehlt mir. Früher hat sie super gekocht. Heute ist ihr Essen ungeniessbar. Sie hat vergessen, wie es geht. Dann holt sie zum Beispiel eine Pizza aus dem Gefrierfach, legt Sushi drauf und würzt das Ganze mit einem Beutel Bündner Gerstensuppe. Manchmal mache ich bei der Arbeit Scherze darüber: «Mal schauen, was meine Frau heute wieder auf den Herd zaubert.» Aber eigentlich ist es nicht zum Lachen. Vor sieben Jahren haben die Ärzte bei ihr eine frontotemporale Demenz festgestellt. Da war sie erst 54 Jahre alt. Inzwischen ist sie ein ganz anderer Mensch.
Ich arbeite Vollzeit und sie nachmittags an einem geschützten Arbeitsplatz. Bislang fuhr sie selbständig mit dem Zug hin. Nun bringt sie aber oft die Zeiten durcheinander. Sind wir zu Hause, fühle ich mich allein, obwohl meine Frau da ist. Sie kann nur noch wenige Worte sprechen und auch die verwendet sie ohne Zusammenhang. Immer will sie etwas von mir, aber ich verstehe nicht was. Das ist stressig und macht mich nervös. Läuft es nach ihrem Willen, ist sie glücklich. Wenn nicht, wird sie aggressiv. Dann schimpft sie und geht auf mich los. Sie hat spitze Fingernägel – wenn sie mich damit erwischt, tut es richtig weh und blutet. Darum mache ich lieber, was sie will.
Ich habe kein eigenes Leben mehr. Gönne ich mir eine kurze Auszeit, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht bei ihr bin. Viele Freunde haben sich von uns abgewandt. Seit das Coronavirus das Leben lahmlegt, fühle ich mich noch einsamer. Davor habe ich mich ab und zu mit einem Arbeitskollegen auf einen Kaffee getroffen. Das kann ich jetzt nicht mehr.
Vor zwei Jahren ist unsere Tochter Svenja ausgezogen. Da war sie 23 Jahre alt. Das war hart für mich. Ich habe meinen letzten Gesprächspartner verloren. Gleichzeitig war es aber auch eine Erleichterung. Es tut gut zu wissen, dass die Tochter jetzt ein wenig abschalten kann. Ich selber komme nicht zur Ruhe. Zwar schlafe ich nachts schnell ein. Aber nach kurzer Zeit bin ich wieder wach und denke über unsere Situation nach. Ich bin einfach so ratlos.
An Wochenenden muss ich meine Frau zum Einkaufen mitnehmen. Das ist sehr anstrengend. Sie will immer die gleichen Sachen kaufen: Nutella, Pizza und Pasta. Wenn ich ihr sage, dass wir schon genug davon haben, wird sie wütend. Dann schreit sie mich im Laden an oder schlägt mich sogar. Sie hat auch angefangen zu stehlen. In mehreren Läden hat sie bereits Hausverbot.
Ich liebe meine Frau nicht mehr. Ich kann ihr auch körperlich nicht mehr nahe sein. Wenn sie sich mal an mich kuschelt, befremdet mich das. Trotzdem fühle ich mich ihr gegenüber verantwortlich. Man kann seinen Partner ja nicht einfach abschieben, nur weil er krank ist.
Am schönsten sind noch unsere Ausflüge. Wenn ich mit meiner Harley fahre und meine Frau hinten sitzt, kann ich abschalten. Wir gehen auch spazieren. Allerdings will sie alle Kinder und Hunde streicheln. Bei Kindern ist es mir unangenehm. Ich stelle mich dann vor sie und versuche, sie abzublocken.
Wir haben uns jetzt um einen Heimplatz beworben. Zwar habe ich deswegen finanzielle Ängste, aber ich weiss, dass es so nicht weitergehen kann. Ich habe einfach keine Kraft mehr. Es ist mein Wunsch, dass das endlich ein Ende nimmt.
Frühe Demenz wirft grosse Schatten
Frontotemporale Demenzen beginnen früh: Die meisten Patienten sind 45 bis 60 Jahre alt. Dabei sterben Nervenzellen im Stirn- und Schläfenbereich ab. Dort steuert das Gehirn Gefühle und soziales Verhalten. Jacqueline Wettstein von Alzheimer Schweiz sagt: «Besonders heimtückisch ist, dass die Betroffenen oft nicht realisieren, dass sie krank sind.» Das macht die Situation der Angehörigen noch schwieriger.
Infos und Beratung: www.alzheimer-schweiz.ch, Tel. 058 058 80 00