Über mir lag eine dicke Schicht Schnee, einen Meter hoch. Er war hart wie Beton und drückte von allen Seiten, vor allem auf den Rücken und die Brust. Ich konnte fast nicht mehr atmen. Es war stockdunkel. Ich dachte: Schade, ich hatte doch noch so vieles vor. Dann kam der Gedanke: Meine Kollegen holen mich da raus. Ich sah meine Tochter und meine Ex-Frau ganz klar vor mir. Schliesslich kam ein Tunnel mit einem grossen Licht am Ende. Ich hörte jemanden sagen: «Schnell!» Dann wurde ich ohnmächtig.
Wenige Minuten zuvor hatte ich noch auf den Tourenskiern gestanden. Ich war mit drei Kollegen auf dem Walliser Berg Le Grammont unterwegs. Er liegt am Ufer des Genfersees. Das Wetter war wunderschön. Plötzlich hörte ich ein Zischen im Schnee. Schneeblöcke und Neuschnee rauschten an mir vorbei. Ich verlor den Boden unter den Füssen. Die Lawine riss mich schnell und mit unglaublicher Wucht mit. Es überschlug mich viele Male, bis ich nicht mehr wusste, was oben und was unten war. Ich fühlte mich winzig klein in dieser Naturgewalt. Wie im Reflex hielt ich die Hände vors Gesicht, um meine Atemwege zu schützen. Irgendwann kam die Lawine zum Stillstand. Ich sah den blauen Himmel über mir. Doch dann kam erneut ein riesiger Schneeschwall und begrub mich.
Zum Glück war ich mit drei erfahrenen Bergkollegen unterwegs. Sie wussten sofort, was zu tun war. Als ich wieder zu mir kam, sah ich bereits wieder den blauen Himmel. Es kam mir vor, als ob ich von irgendwo her zurückkommen würde. Schon bald kam der Rettungshelikopter und brachte mich ins Spital. Die Ärzte entliessen mich nach einem kurzem Untersuch. Es war ein Wunder: Ich hatte mich nicht einmal verletzt.
Noch heute zucke ich zusammen, wenn ich einen Helikopter höre. Für eine Sekunde spüre ich dann wieder, wie der Schnee mich eingezwängt hatte, wie hart, eng und kalt es war. Ich denke dann ganz bewusst: «Der Helikopter ist unterwegs, um ein anderes Leben zu retten.» Ich versuche, den Fokus auf das Positive zu lenken.
Inzwischen mache ich wieder Skitouren. Die Berge sind mein Leben. Ich bin aber viel vorsichtiger unterwegs. Ich gehe konzentrierter und ignoriere mein Bauchgefühl nicht mehr. Denn am Unfalltag waren die Verhältnisse zwar gut, aber ich hatte eine leichte Bise am Boden bemerkt. Ich wusste, dass der Bodenwind Treibschnee ansammeln kann, wenn er lange genug weht. Ich schob den Gedanken aber zur Seite. Genau das war mir zum Verhängnis geworden. Zu viel Routine kann eben auch gefährlich werden. Ich gehe ja schon seit 48 Jahren auf Skitouren. Da fängt man vielleicht an, zu stark auf seine Fähigkeiten zu vertrauen.
In den ersten paar Monaten nach dem Unfall wachte ich manchmal auf und schrie, weil ich davon träumte. Inzwischen habe ich eher Träume, wie ich in der gleichen Situation andere rette.
Seit dem Unfall bin ich dankbarer und zufriedener. Ich geniesse bewusster den Moment und meine Gesundheit. Es ist mir wichtig, den Menschen ein Lächeln zu schenken, ihnen eine Freude zu machen. Und manchmal selber über das zu lächeln, was uns im Alltag Sorgen macht.
Lawine: Erste Minuten entscheiden
Wer von einer Lawine ganz verschüttet wird, ist in höchster Lebensgefahr. Nach 15 Minuten überlebt nur noch jeder zweite, nach einer Stunde nur noch einer von fünf Verschütteten. Oft entscheiden die Fähigkeiten der Begleiter, ob jemand überlebt. Österreichische Forscher untersuchten vor kurzem die Fälle von 55 Lawinenopfern. Ihr Fazit: Nur wenn Kollegen sie sofort ausgruben und wiederbelebten, kamen sie unverletzt davon. Verschüttete, die erst der Notarzt reanimieren konnte, starben oder erlitten schwere Hirnschäden.
Weitere Informationen: Slf.ch, Whiterisk.ch