Laut Herstellern wie Burgerstein und Lee-Sport sind Prä- parate mit Vitamin D wahre Wundermittel: Sie seien «für alle Personen besonders geeignet», um das Immunsystem, die Knochen, die Zähne und die Muskeln zu stärken, schreibt etwa Burgerstein in der Werbung.
Auch die Altersmedizinerin Heike Bischoff-Ferrari von der Universität Zürich singt seit vielen Jahren ein Loblied auf Vitamin D. «Etwa jeder zweite Mensch» habe einen Mangel an Vitamin D, sagte sie kürzlich in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung». «Viele ältere Menschen» bräuchten das ganze Jahr zusätzlich Vitamin D.
Auch die neue Leitlinie der internationalen Ärztegesellschaft Endocrine Society empfiehlt es grossen Teilen der Bevölkerung – nämlich allen Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahren, Schwangeren, Senioren ab 75 Jahren und Leuten mit erhöhtem Risiko für Diabetes.
Der deutsche Arzt Wolfgang Becker-Brüser winkt ab: Für solche Empfehlungebe es keine wissenschaftliche Grundlage. Er hat etliche Studien zu Vitamin D ausgewertet. In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift «Arznei-Telegramm» kommt Becker-Brüser zum Schluss, dass nur zwei Gruppen von Vitamin D profitieren:
- Säuglinge: Vitamin D schützt Kleinkinder im Alter bis anderthalb Jahren vor der Krankheit Rachitis. Dabei werden die Knochen weich und verformen sich. Kinderärzte empfehlen die Einnahme von Vitamin D bis zum zweiten Frühsommer, den das Kind erlebt.
- Leute mit einem Risiko für Osteomalazie: Auch Erwachsene mit Knochen, die sich aufweichen, profitieren von Vitamin D. Dazu zählen Gebrechliche, die ans Haus gebunden sind und sich deshalb nicht oft im Freien aufhalten. Bei allen anderen Bevölkerungsgruppen fehlen Beweise für einen gesundheitlichen Nutzen der Präparate – so Becker-Brüsers Fazit. Selbst eine Studie von Heike Bischoff-Ferrari mit mehr als 2000 Teilnehmern im Alter von über 70 Jahren zeigte keinen positiven Effekt: Die Präparate senkten das Risiko für Knochenbrüche und Infektionen nicht, und sie verbesserten weder Gehirnleistung noch Muskelkraft oder Blutdruck. Bei Vitamin D ist laut «Arznei-Telegramm» vielmehr Vorsicht geboten: Wer zu viel davon schluckt, riskiert unheilbare Nierenschäden.
Vitamin-D-Tests haben keinen Nutzen
Ärzte in der Schweiz führen immer mehr Vitamin-D-Tests durch. Laut dem Bundesamt für Gesundheit hat der Einsatz solcher Tests in den vergangenen 20 Jahren um mehr als das Hundertfache zugenommen. Die Krankenkasse Swica schätzt die dafür aufgewendeten Kosten auf rund 90 Millionen Franken pro Jahr. Für den Nutzen dieser Tests gibt es ebenfalls keine Belege, schreibt Wolfgang Becker-Brüser. Die Endocrine Society empfiehlt die Tests inzwischen nicht mehr allen gesunden Personen.
Zudem hat die Gesellschaft fixe Zielwerte für den Vitamin-D-Spiegel aus ihrer Leitlinie gestrichen. Die Firmen Burgerstein und Lee-Sport sowie die Ärztin Heike Bischoff-Ferrari nahmen zur Kritik der Experten nicht Stellung.
Vitamin D: Sonnenlicht und Essen sind wichtige Quellen
- Die Haut bildet Vitamin D bei Sonnenlicht. Gehen Sie deshalb oft ins Freie – auch im Winter.
- Lebensmittel liefern ebenfalls Vitamin D. Am meisten davon steckt in Hering, Wildlachs, Sardinen, Eierschwämmen, Eiern und Thunfisch.
- Generell gilt: Gesunde brauchen keine Vitamin-D-Präparate. Nur Säuglinge und gebrechliche Leute, die ans Haus gebunden sind und sich selten im Freien aufhalten, profitieren von Vitamin-D-Präparaten.