Gibt es ausser dem Lohn noch andere Gründe, warum Sie sich diese harte Arbeit antun?
Ja, die gibt es: Ich liebe die Natur in der Schweiz. In meiner Freizeit mache ich darum viele Ausflüge hier. Und ich bin ein guter Spargelernter. Natürlich denken viele, diese Arbeit kann doch jeder. Und tatsächlich kann jeder lernen, wie man einen Spargel richtig schneidet. Aber längst nicht alle fühlen ihn.
Sie fühlen den Spargel?
Ja. Ich habe nach all den Jahren ein besonderes Gefühl für ihn entwickelt. Jeden Tag entscheide ich tausendfach: Muss er noch länger in der Erde bleiben? Oder befinden sich keine Steine in der Erde, damit er gerade wachsen kann? Dann der Schnitt. Er muss präzise sein. Drei Mal zustechen, maximal. Ich erinnere mich an Kollegen, die haben den Spargel so traktiert, als wollten sie ihn töten. Ich konnte fast nicht zuschauen. Auch wegen des Geldes.
Wie meinen Sie das?
Spargeln sind anspruchsvoll im Anbau und somit teuer. Würde ich sie irgendwie falsch behandeln, dann ginge das rasch ins Geld – und am Ende würde ich wohl auch meinen Job verlieren.
Das Bild vom Bauern, der seine Erntehelfer aus Osteuropa ausbeutet, hält sich hartnäckig. Stimmt es?
Sagen wir mal so: Ich kenne Landsleute in anderen Betrieben, die hart angefasst werden. Meine Bauernfamilie kennt mich aber nach all den Jahren gut, wir mögen uns. Mein Chef ist eher streng, aber wertschätzend. Es gibt klare Regeln. Bei der Pünktlichkeit gibt es keinen Spielraum, ebenso beim Alkoholkonsum vor und während der Arbeit. Er spürt aber sehr gut, wenn ich den Koller habe. So hat er mir auch schon spontan einen freien Tag gegeben. Zudem verdiene ich mehr, wenn es den ganzen Tag regnet. Was ich auch mag: Wir sind fast nur Polen auf dem Hof. Das ist nicht immer einfach. Es gibt mir aber ein Gefühl von Heimat in der Fremde.
Während der Pandemie haben sich auch Schweizer im Spargelstechen versucht. Die meisten gaben rasch auf. Wieso?
Viele unterschätzen, was für eine Knochenarbeit das ist. Man ist bis zu 12 Stunden auf dem Feld – und das in gebückter Haltung. Reihe für Reihe hebt man die schwere Folie an und schneidet Spargel um Spargel. Ohne Wille und Ausdauer schafft man das nicht.
Und wie geht es Ihrem Rücken?
Ganz gut. Für mich ist Spargelstechen wie Krafttraining: Gehe ich nach einer langen Pause wieder ins Gym, dann schmerzt danach mein ganzer Körper. Nach zwei, drei Trainings tut er aber nicht mehr weh. So ist das auch am Anfang der Spargelsaison. Vielleicht wird das nicht immer so sein. Jetzt bin ich aber noch jung.
Zur Person
Radoslaw Adamski
Der 32-Jährige ist in Polen nahe an der deutschen Grenze aufgewachsen. Als gelernter Koch hat er in einem Restaurant gearbeitet, bis ihm ein Kollege von seiner Arbeit als Spargelernter in der Schweiz erzählte. Mit 22 reiste er zum ersten Mal nach Flaach ins Zürcher Weinland, um auf dem Hof der Familie Spaltenstein bei der Spargelernte mitzuarbeiten. Seither kommt er jede Saison.