Die Gefühlswelt von Borderline-Kranken ist heftig und gleicht einer Achterbahnfahrt. Ganz plötzlich überkommen sie Wut, Angst oder Verzweiflung. Oft haben sie starke Spannungszustände und verletzen sich dann selbst. Um die Stimmung der Patienten stabiler zu machen, verschreiben Psychiater unter anderem Medikamente mit dem Wirkstoff Lamotrigin – eigentlich ein Mittel gegen Epilepsie. Vor Jahren priesen Forscher dies noch als «vielversprechend» an.
Doch jetzt zeigt eine britische Studie mit rund 200 Patienten: Das Mittel hilft nicht besser als ein Scheinmedikament. Die Autoren raten deshalb davon ab, Borderline-Patienten Lamotrigin zu verschreiben. Dazu kommt, dass es auch Nebenwirkungen auslösen kann. Häufig leiden Patienten an Kopfweh, Schwindel und Übelkeit, selten auch an Halluzinationen oder schweren Hautausschlägen.
Kein Wirkstoff ist als Therapie zugelassen
Fachleute überrascht das Resultat der Studie nicht. Psychiater Thomas Ihde von den Spitälern Frutigen Meiringen Interlaken BE sagt: «Medikamente nützen bei dieser Krankheit allgemein wenig.» Wichtig sei vor allem die Psychotherapie. Der Basler Psychiater Piet Westdijk bestätigt: «Es gibt kein Medikament, das Persönlichkeitsstörungen wie Borderline heilt.» Bisher haben die Arzneimittelbehörden denn auch keinen einzigen Wirkstoff als Therapie zugelassen.
Trotzdem bekommt fast jeder Borderline-Kranke Pillen verschrieben. Bei jedem zweiten sind es sogar drei und mehr verschiedene Wirkstoffe. Das zeigte vor drei Jahren eine Untersuchung, an der auch Schweizer Kliniken beteiligt waren. Neben Epilepsiemitteln wie Lamotrigin sind es Pillen gegen Depressionen und Psychosen sowie Beruhigungsmittel.
Piet Westdijk sagt: «Patienten bekommen zu oft Medikamente.» Diese könnten sogar die Psychotherapie stören. Laut Westdijk besteht die Therapie bei Persönlichkeitsstörungen wie Borderline darin, Muster im Verhalten und Erleben zu erkennen und sie bei Bedarf zu ändern. «Das ist für die Patienten kaum möglich, wenn sie durch Medikamente ruhiggestellt sind.» Er rät, sie nur bei Krisen einzusetzen. Laut Thomas Ihde kann bei extremen Spannungszuständen allenfalls einmal ein Medikament mit dem Wirkstoff Quetiapin sinnvoll sein. Es dämpft und wirkt gegen die depressive Stimmung.