Vitaminpillen stärken angeblich die Abwehrkräfte, damit Schnupfen, Grippe oder Covid-19 keine Chance haben. Das wollen Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln den Kunden oft weismachen. So wirbt die Firma Bayer für ihre Redoxon-Tabletten mit Vitamin C und Zink: «Hilft dem Immunsystem bei erhöhtem Risiko von Infektionskrankheiten.»
Kein Wunder, sind Vitaminpillen in der Zeit der Coronapandemie begehrt: Im Jahr 2020 griffen in der Schweiz zwei von drei Personen zu solchen Mitteln. Das ergab eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Statista. Laut dem Branchenverband Interpharma stieg die Zahl der verkauften Vitaminpillen im Vergleich zum Vorjahr um rund einen Fünftel: 2019 waren es 6,2 Millionen Packungen, 2020 mehr als 7,3 Millionen.
Doch jetzt zeigt eine grosse Übersichtsstudie aus den Niederlanden: Solche Produkte verhindern kaum Erkältungen und andere Infekte der Atemwege wie Grippe, Lungenentzündung oder Covid. Studienautorin Berber Vlieg vom OLVG-Spital in Amsterdam und ihr Team werteten 63 Studien mit rund 200000 Erwachsenen und Kindern aus. Das Fazit: «Die Präparate schützen Gesunde nicht oder nur wenig.» Jene Teilnehmer, die Placebos bekamen, erkrankten im Durchschnitt nicht häufiger als solche, die Vitaminpillen schluckten.
So zeigten Multivitaminpräparate und Pillen mit Vitamin A, C oder E weder bei Kindern noch bei Erwachsenen einen Nutzen. Präparate mit Zink halfen ebenfalls meist nicht. Lediglich Kinder in Asien hatten damit im Durchschnitt etwas weniger Erkältungen und Lungenentzündungen. Die Autoren vermuten, dass diese Gruppe mit dem Essen zu wenig Zink aufnimmt. Dieser Nährstoff ist beispielsweise in Muscheln, Paranüssen und Linsen enthalten. Auch Vitamin D nützte den meisten Leuten nichts. Zum gleichen Schluss war im Jahr 2020 die unabhängige Forschergruppe Cochrane in Österreich gekommen: Präparate mit Vitamin D würden bestenfalls bei einem schwerwiegenden Mangel Atemweginfekte verhindern.
Wer sich vor Schnupfen und Co. schützen will, sollte deshalb nicht auf Präparate vertrauen. Die Ernährungswissenschafterin Sabine Rohrmann von der Uni Zürich sagt: «Es funktioniert nicht, nur ein paar Tabletten einzuwerfen.» Das Immunsystem brauche verschiedenste Nährstoffe, nicht nur einzelne Vitamine und Mineralien. Auch Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser sagt: «Präparate ersetzen einen gesunden Lebensstil nicht.» Dazu zählen eine abwechslungsreiche Ernährung sowie genügend Schlaf (siehe Kasten).
Hersteller Bayer schreibt, Redoxon sei für Patienten mit einem erhöhten Risiko für eine Infektion zugelassen.
So schützen Sie sich vor Infekten
- Sorgen Sie für Abwechslung auf dem Teller: Essen Sie viel Gemüse, Früchte, Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte.
- Verzichten Sie auf Tabak und viel Alkohol.
- Schlafen Sie sieben bis acht Stunden pro Nacht.
- Bewegen Sie sich jeden Tag an der frischen Luft, am besten bei Sonnenschein.
- Waschen Sie regelmässig die Hände. Greifen Sie mit ungewaschenen Händen nicht ins Gesicht.
- Meiden Sie grosse Menschenmengen.